Gelacht, geweint, gefeiert
25 Jahre Studium im Mittleren Osten

Foto: C. Rammelt
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Feiern im Angesicht von Zerstörung im Libanon und stetiger Angst vor neuen Übergriffen? Gemeinsam tagen, obgleich doch die letzten beiden Jahre keine Studierenden entsandt werden konnten? Über was ist zu reden, wenn die Zukunft eines Studienprogramms angesichts der politischen Situation in Nahost in den Sternen steht? Wir haben es gewagt, zu tagen und zu feiern. Und es war gut und richtig, weil die Bilanz nach 25 Jahren respektabel ist. Vom 4. bis 7. Juni 2025 trafen sich in Erfurt Lehrende und Studierende der Near East School of Theology (N.E.S.T.) Beirut/Libanon und Vertreter*innen des Boards des deutschen Studienprogramm Studium im Mittleren Osten (SiMO), dem Freundeskreis „Freunde der N.E.S.T.“ e.V. und ehemalige Studierende an der N.E.S.T. in Erfurt. Die Delegation der N.E.S.T. war bereits am 2. Juni in Frankfurt angekommen, wo sie zunächst Gäste des Zentrums Ökumene in Frankfurt waren. Danach brachen sie nach Bochum zur Evangelisch-Theologischen Fakultät auf, mit der sie durch eine Kooperation verbunden sind. Ebenso wurden sie im Haus der Kirchen in Kassel von Vertreter*innen der Kirche von Kurhessen-Waldeck begrüßt. Neben einem Vortrag des neuen Hochschulpräsidenten Prof. Dr. Martin Accad zum christlich-muslimischen Zusammenleben berichteten die Dozierenden und Studierenden an den verschiedenen Orten von den aktuellen Lebensumständen in ihrer Heimat.

Vor 25 Jahren hatten sich Pfarrer, Dozierende und Professoren dafür stark gemacht, dass Studierende an der Near East School of Theology in Beirut/Libanon studieren können. Seither ist das Studienprogramm an die Evangelische Mission in Solidarität Stuttgart (EMS) angegliedert; organisiert wird es durch einen Beirat mit seinen verschiedenen Organen. Ehemalige Studierende gründeten den Freundeskreis „Freunde der N.E.S.T“ e.V. bereits vor 20 Jahren. Über 80 Studierende ergriffen bisher die Möglichkeit, ein Studienjahr an der Hochschule im Herzen Beiruts zu verbringen. Doch in den letzten Jahren war eine Entsendung schwierig: Im Sommer 2020 erschütterte eine gewaltige Explosion den Hafen der Stadt und richtete auch Schäden in der Hochschule an. Monate später galten restriktive Reisebeschränkungen augrund der weltweiten Coronapandemie. Tagtäglich wurde im Libanon die ökonomische Situation schwieriger, und für viele ist sie bis heute ein Überlebenskampf. Nach dem Attentat der Hamas am 7. Oktober vor den Toren Gazas und der militärischen Antwort Israels wurde auch der Libanon in Kampfhandlungen hineingezogen. Israel antwortete nicht nur der Hamas, sondern auch ihren Unterstützern wie der Hisbollah mit militärischer Stärke. Wieder waren im Libanon Hunderttausende auf der Flucht vor den Kämpfen im Süden, der Himmel wurde Drohnenüberwacht, Dörfer, Häuser und Straßenzüge wurden weggebombt.

Bereits entsandte Studierende mussten im Herbst 2023 zurückgerufen werden, nachdem auch das Auswärtige Amt eine dringende Ausreiseaufforderung ausgesprochen hatte. Nach den sogenannten Pager-Angriffen war dann an eine erneute Entsendung gar nicht mehr zu denken. Die zurückgekehrten Studierenden im Herbst 2023 bangten um ihre nahöstlichen Kommilitonen. Während sie nach Deutschland in eine Situation des Friedens und Wohlstands zurückgehen konnten, müssen jene mit den instabilen-, wirtschaftlichen-, politischen-, vor allem sicherheitsrelevanten Herausforderungen leben. Auch wir als Verantwortliche des Studienprogramms fragten uns mehrfach, inwieweit ein Studieren und Lernen unter diesen Bedingungen überhaupt noch möglich sind.
Einigkeit bestand darin, dass die über die Jahre gewachsene Partnerschaft weiter gepflegt werden soll. Diese Pflege bedeutete auch, die Kontinuität der Konsultationen fortzusetzen, zu denen sich Verantwortliche des Programms, ehemalige und aktive Studierende und Interessierte alle drei Jahre alternierend im Libanon oder in Deutschland treffen. Einen Schwerpunkt des gemeinsamen Arbeitens in diesem Jahr bildete die Vergewisserung der zurückliegenden Zusammenarbeit und die Frage nach der Gestaltung der zukünftigen. Was hält uns zusammen? Der Blick auf 25 Jahre Zusammenarbeit machte deutlich, dass das ganzheitliche Lernen an der N.E.S.T mit dem gemeinsamen Zusammenleben, das Lernen und Forschen von Studierenden und Lehrenden unter einem Dach und ebenso das gelebte geistliche Leben zu den speziellen Erfahrungen im Kontext deutscher Studierendenbiographen gehört. All dies geschieht in einem politisch und religiös überaus komplexen Kontext des Libanon. Diese Erfahrung hat das Leben vieler SiMO-Studierenden nachhaltig beeinflusst. Darüber hinaus ist klar: Im Curriculum eines Theologiestudiums in Deutschland spielen die Vielfalt der christlichen Gemeinschaften, wie sie im Libanon anzutreffen sind und die Frage, wie sich Leben und Glauben in einer muslimisch geprägten Gesellschaft gestaltet, kaum eine Rolle. Auch andere Studienfächer machen das nicht zum Thema. Die im Libanon vermittelten Kenntnisse und die damit in Verbindung stehenden zahlreichen Begegnungen haben Singularität. Umgekehrt betonten die Dozierenden und Studierenden der N.E.S.T. mehrfach, wie gut die Präsenz der SiMO-Studierenden ist und sie als Christ*innen im Nahen Osten vor allem auch in ihrem theologischen Nachdenken immer wieder herausgefordert wurden. So verband alle der Wille, die gewachsene Zusammenarbeit in der Vielfalt ihrer Themen weiter zu ermöglichen. Alle arbeiteten hart an der Formulierung eines Memorandum of Understanding, eine Art Hoffnungsplan für die Zukunft einer fortdauernden Kooperation. Nur Menschen, die sich vertraut geworden sind, die als Freunde miteinander arbeiten, sind getragen von dem Willen und der Hoffnung, die gemeinsam begonnene Arbeit auch weiterhin gemeinsam zu gestalten und zu tragen.

Ein weiterer Schwerpunkt der Erfurter Konsultation war ein äußerst spannender. Angesichts der aktuellen Situation in den Ländern des Nahen Ostens lag nichts näher, als zu fragen, wie auf das, was im Nahen Osten passiert, dort wie hier geblickt wird. Konkret bedeutet das: Wie werden die Vorgänge in Israel und Palästina mit ihren Auswirkungen auf die Nachbarländer jeweils theologisch eingeordnet? Studierende an der N.E.S.T. hatten auf Poster gebracht, was ihnen angesichts der Situation durch den Kopf gegangen ist, wenn sie zerstörte Dörfer im Südlibanon besuchten, Raketen Syrien beschießen oder der Weg zum Studium aus der Westbank eigentlich kaum möglich ist. Dass der deutsche Blick ein anderer als der nahöstliche ist, wurde ausgehalten. Niemand wollte den anderen überzeugen, seine auch mit historischen und gegenwärtigen Realitäten verbundene Perspektive aufzugeben. Niemand wollte harmonisieren oder polarisieren, sehr wohl wurden aber die damit verbundenen Emotionen, Ängste und Hoffnungen zugelassen und von beiden Seiten gehört. Weil das so war, wurde es möglich, Anfragen ohne Vorbehalt offen zu formulieren: Meint ihr, dass theologisches Nachdenken nach dem 7. Oktober noch so aussehen kann wie vorher? Das persönliche Bekenntnis, dass die deutsche Staatsräson nicht einfach auszuhalten ist, wenn auf das geschaut wird, was im Libanon an Zerstörung geschah, stand genauso im Raum wie die Verzweiflung, wenn Trost palästinensischen wie israelischen Freunden aufgrund erfahrenen Leids zu spenden ist. Ob das nicht ein Modell ökumenischer Arbeit ist, wenn begonnen wird, die gegenseitigen Narrative zu hören, diese zuzulassen und mit ihnen konstruktiv zu arbeiten? Ein solches Arbeiten legitimiert nicht den Status quo, der in Gewalt und der gegenseitigen Polemisierung stecken bleibt, sondern er lässt fragen, hinterfragen, erklären und so auch wieder Einsichten zu. Für uns war genau das zum Modell geworden. So konnten wir erschöpft, aber erfüllt, 25 Jahre Studienprogramm im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland mit einem erweiterten Kreis aus Vertreter*innen der Landeskirche, dem SiMO-Beirat, weiteren ehemaligen Studierenden und verschiedenen Gästen feiern. Neben Grußworten und dem Vortrag des Hochschulpräsidenten gab es viel Gelegenheit zum Austausch. Es ist zu hoffen, dass dieser Austausch auch in den nächsten 25 Jahren ein fruchtbringender wird, getragen von dem ökumenischen Bestreben, an- und miteinander zu arbeiten für die Gemeinschaft im Glauben. Denen, die das bisher getan haben, sei gedankt!

verfasst von Claudia Rammelt

Foto: C. Rammelt
Foto: C. Rammelt
Autor:

Christian Kurzke

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