Blickpunkt
Für eine Ökumene der dritten Art

(Illustration: crystaleyestudio – stock.adobe.com)
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Kirche und Konfessionslose: Was wesentlich christlich ist, lernen wir erst im Kontakt
mit Nichtchristen.
Von Eberhard Tiefensee

Dass die Ökumene eine wesentliche Voraussetzung aller Missionsbemühungen ist, wissen wir seit Joh 17,21: »… so sollen auch sie in uns eins sein, auf dass die Welt glaube, dass du mich gesandt hast«, betet Jesus zum Vater.
Dass aber Mission vor allem Sendung und weniger Magnetismus ist, lernen wir erst allmählich: Wir sollen nicht andere auf die eigene Seite ziehen, sie »überzeugen« oder »bekehren« (eigentlich kann man das nur bei sich selbst tun), sondern Impulse geben und das Übrige dem Heiligen Geist überlassen. Wenn wir also die Frage: »Würden wir es auch tun, wenn es uns selbst nichts bringt?« nicht ehrlich mit »Ja« beantworten können, läuft etwas falsch.
Ökumene ist nicht nur Voraussetzung von Mission, sondern Mission ist selbst Ökumene. Das zeigt uns die oft schmerzliche Geschichte der »Judenmission«. Es geht darum, die Anderen als solche zu akzeptieren und nicht nur zu tolerieren, für die Anderen mitzudenken (den meisten ist doch inzwischen permanent bewusst, dass es »Andere« gibt, die nicht leben und glauben wie ich), den eigenen Standpunkt zu schärfen statt ihn relativistisch zu verwässern, und möglichst viel miteinander
zu tun.
Das konkrete Ziel dieser Bemühungen können wir Gott überlassen: Ökumene »funktioniert« nicht, wenn jemand plant, aus Juden Christen, aus Katholiken Protestanten (oder umgekehrt) zu »machen« – so »funktioniert« auch nicht (Islam- oder Atheisten-)»Mission«.
Vielleicht will der Heilige Geist aus dem Ganzen der Menschheit allmählich einen Organismus formen (mit Christus als Haupt), in dem jedes noch so verschiedene und scheinbar unwichtige Glied seine spezielle Rolle spielt und geachtet werden soll, seien es Christen, Angehörige anderer Religionen oder Konfessionslose – Gerechte und Ungerechte.
Was zwischen den Christen untereinander und den Religionen auf je andere Weise gilt (»Ökumene der ersten und zweiten Art«), betrifft auch den Umgang mit den Konfessionslosen (»Ökumene der dritten Art«): gegenseitige Akzeptanz und Respekt auf Augenhöhe, die soweit wie möglich alles im Denken, Reden und Tun vermeiden lassen, was den Anderen verletzen könnte – besonders das: »Du bist dumm oder boshaft, dass du meine Überzeugung nicht teilst (und wirst zur Hölle fahren)!« Standpunkte können sich so profilieren: Was wesentlich christlich ist, lerne ich erst im Kontakt mit Nichtchristen.
Und nicht zuletzt: Vieles ist gemeinsam möglich im Geben und Nehmen. Dass die Ökumene aller drei Arten auf sozialem, kulturellem und politischem Gebiet zumeist überraschend effektiv geschieht, wird wohl niemand leugnen. Außerdem korrigiert diese Perspektive die etwas »verkopfte« Vorstellung vom interkonfessionellen oder interreligiösen Dialog, als sei das nur eine akademische Veranstaltung, bei der es vor allem um Konsenspapiere und gegenseitiges Verständnis geht. Das ist zweifellos sehr wichtig, kann aber nicht alles im ökumenischen Mit- und zuweilen Durcheinander sein.
Ökumene hat auch eine oft übersehene liturgische Seite: Nicht zufällig ist die Feier des Abendmahls ein Kernbereich innerchristlicher Auseinandersetzungen, und wie Weihnachten zu feiern ist, muss manche Familie mühsam aushandeln. Überhaupt findet die eigentliche Ökumene wohl im »oikos« (griech: Haus) statt. Im Liturgischen gibt es ebenso ein Geben und Nehmen: »Katholische« Osterkerzen und die farbige Stola kennen nun auch die Protestanten; wie diese halten Katholiken Gottesdienste in der Landessprache; christliche Feiern verwenden Elemente der jüdischen Pascha-Feier und des Synagogengottesdienstes. Ob vielleicht alsbald der Ruf des Muezzins hilft, christliches Glockenläuten früh, mittags und abends wieder als Gotteslob und als Aufforderung zu hören, sich zum Gebet zu versammeln?
Mit den Konfessionslosen ist der liturgische Austausch schon im Gang: Die Jugendweihen übernahmen Elemente der Konfirmation, ähnlich ist es bei standesamtlichen Hochzeiten und weltlichen Beerdigungen. Besonders nach Amokläufen oder Flugzeugabstürzen ist die liturgische Kompetenz der Christen gefragt: Hier entwickeln sich Feierformen, die in zwingend kurzer Zeit nach den Ereignissen gemeinsam (!) konzipiert und dann auch in einer Weise vollzogen werden, dass die unterschiedlichen, auch säkularen Lebenseinstellungen ihren angemessenen Platz finden.

Der Autor ist römisch-katholischer Priester und war von 1997 bis zum April 2018 Professor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt.

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