Gegen das Vergessen

Gesprächsrunde: Dagmar Winkel, Hartwig Floßmann, Dimitrana Floßmann und Pfarrer Michael Schlauraff berichten im Bibraer Pfarrhaus über die Arbeit des »Arbeitskreises gegen das Vergessen« (v. l. n. r.). | Foto: Thomas Schäfer
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Was sich aus dem Gedächtnis verliert, existiert nicht mehr im Bewusstsein. Genau da setzt der »Arbeitskreis gegen das Vergessen« an, der im südthüringischen Bibra seinen Sitz hat und kürzlich den Werner-Sylten-Preis erhielt.

Von Uta Schäfer

Als die Bibraer für den Sommer 1992 die 500-Jahrfeier der Grundsteinlegung ihrer Sankt-Leo-Kirche vorbereiteten, war sehr schnell klar, dass der Fokus nicht allein auf den drei berühmten Schnitzaltären von Tillmann Riemenschneider liegen kann. Schließlich sind Kirchen- und Ortsgeschichte eng miteinander verbunden. »Etwa 300 Jahre haben jüdische Menschen ganz selbstverständlich zu Bibra gehört«, sagt Michael Schlauraff, seit 2016 Pfarrer in Bibra.
In sein Amtszimmer sind an diesem Nachmittag Dagmar Winkel, Lehrerin für Deutsch und Religion an der Gesamtschule Grabfeld, und das Ehepaar Floßmann gekommen. Sie gehören zum harten Kern des »Arbeitskreises gegen das Vergessen«, der sich 2005 bildete und dessen ehrenamtliche Arbeit von etwa 50 Freunden aus nah und fern unterstützt wird. »Hier in diesem Raum spielte der evangelische Pfarrer Baumann mit dem jüdischen Lehrer Höxter Schach und gemeinsam lasen sie das Alte Testament in Deutsch und Hebräisch, bis Pfarrer Baumann zwangsversetzt wurde und der im Dorf so beliebte Lehrer 1934 Berufsverbot erhielt. Über viele Stationen kamen schließlich Aaron Höxter und seine Frau Paula im KZ Stutthof bei Danzig ums Leben, Sohn Günter wurde in Auschwitz ermordet«, schildert Hartwig Floßmann nur eines der vielen Schicksale, die er und seine Frau Dimitrana sorgfältig und mit Einfühlungsvermögen recherchierten.
Ein Blick zurück in die Geschichte: Die Freiherren von Bibra, seit über 900 Jahren hier ansässig, nutzten nach dem Dreißigjährigen Krieg die Möglichkeit, Juden in ihrem Herrschaftsbereich anzusiedeln. Diese »Schutzjuden« durften an zugewiesenen Orten leben und arbeiten, mussten dafür aber Abgaben leisten. Dies war der Beginn eines regen, sich gut entwickelnden jüdischen Lebens in Südthüringen, von dem einige steinerne Zeugen erhalten blieben. Verteilt im Dorf gab es eine Synagoge samt Schulstube und Lehrerwohnung, eine Mikwe sowie jüdische Metzgereien. Die Verstorbenen brachte man auf den jüdischen Friedhof ins nahe Bauerbach. Die Israelitische Kultusgemeinde Bibra sei schließlich am 2. März 1943 mit der Verschleppung von Oskar Meyer endgültig vernichtet worden. Auch wenn es manche Hilfeleistung gab, verhinderten letztlich Angst und Ausweglosigkeit den offenen Widerstand gegen die Tyrannen, beschreibt er die Situation während des Nationalsozialismus im Buch »Juden in Bibra unvergessen«.
Doch nicht nur aus der dunklen Vergangenheit wird hier berichtet. Mit vielen Fotos, Grußworten und Dokumenten hält es die bewegenden Tage im Mai 2007 fest, als die wenigen noch lebenden Bibraer Juden und ihre Nachfahren in die alte Heimat kamen, mit der sie neben all dem Schrecklichen auch die Erinnerung an glückliche Jahre verbanden. Sie reisten aus Argentinien, Großbritannien, Israel und den USA an.
Die Liste der Aktivitäten des Arbeitskreises ist lang: Der Werner-Sylten-Preis für christlich-jüdischen Dialog, den die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland erstmalig vergab, freut die ehrenamtlich Engagierten sehr. Ist er doch neben der öffentlichen Anerkennung auch mit einer kleinen finanziellen Unterstützung verbunden.

Gesprächsrunde: Dagmar Winkel, Hartwig Floßmann, Dimitrana Floßmann und Pfarrer Michael Schlauraff berichten im Bibraer Pfarrhaus über die Arbeit des »Arbeitskreises gegen das Vergessen« (v. l. n. r.). | Foto: Thomas Schäfer
Seit Mai 2007 erinnert ein Gedenkstein vor der Bibraer Burg an die ermordeten Bibraer Juden. | Foto: Thomas Schäfer
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Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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