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»Inklusion entspricht der christlichen Botschaft«, sagt der Theologe Erhard Hilmer. | Foto: Landeskirche Anhalts
  • »Inklusion entspricht der christlichen Botschaft«, sagt der Theologe Erhard Hilmer.
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Seit Juli vorigen Jahres ist der Theologe Erhard Hilmer Beauftragter für die Sinnesbehindertenseelsorge und Inklusion an den evangelischen Schulen in der Landeskirche Anhalts. Angela Stoye sprach mit ihm über das umstrittene Thema Inklusion.

Herr Hilmer, wie sehen Sie das mit der Inklusion?
Hilmer:
Es ist ein Menschenrecht und nichts Fakultatives, wie manche leider immer noch meinen. Inklusion gilt auch für Kirchen und ihre Gemeinden. Das Bibelwort »Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde« bedeutet, Menschen in ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit wahr- und anzunehmen. Ich lese auch die Heilungsgeschichten aus dem Neuen Testament so. Wenn Jesus jemandem die Augen öffnet oder ihn wieder gehen lässt, traut er ihm etwas zu, holt ihn vom Ausgestoßensein in die Gesellschaft zurück. Jesus hat etwas getan, das den Menschen seiner Zeit anstößig erschien. Auch mit der Inklusion wird etwas angestoßen, das bisher nicht selbstverständlich ist und das manche für utopisch halten.

Das klingt so, als benötigten manche nur einen Schubs und schon klappt es.
Hilmer:
So einfach ist es nicht. Inklusion ist immer individuell. Es muss genau geschaut werden, was der jeweilige Mensch benötigt und was die Menschen um ihn herum benötigen. Aus meinen Berufsjahren als Religionslehrer und als Schulbegleiter für ein Inklusionskind weiß ich, dass es strukturelle Hürden und verschiedene Meinungen gibt. Doch es gibt viele gute Gründe für Inklusion. Nicht nur Inklusionskinder können in ihren sozialen Beziehungen enorm bereichert werden, sondern auch die anderen Kinder in der Inklusionsklasse und der jeweiligen Schule. Ablehnende Haltungen sind eher auf Seiten der anderen Eltern, der Schulen und Behörden zu finden.

Warum das?
Hilmer:
Bisher herrscht oft noch die Grund­annahme vor, dass Menschen mit einer Behinderung in separaten Einrichtungen besser aufgehoben sind und sich in die vorgegebenen Möglichkeiten von Schule und Gesellschaft einpassen sollen. Inklusion ist aber mehr: Sie erfordert, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse, die bestimmte Menschen von der Teilhabe ausschließen, verändert werden. Und das ist, gebe ich zu, oft nicht so einfach, vor allem wenn finanzielle Gründe und der Druck in unserer Leistungsgesellschaft die wichtigere Rolle spielen.

Was geschieht bisher, wenn Eltern ein Kind mit Behinderung bekommen?
Hilmer:
Skandalös empfinde ich, wenn Eltern sich dafür rechtfertigen müssen oder ihnen zustehende Unterstützung erst einklagen müssen. Andererseits engagieren sich Erzieher(innen) und Lehrer(innen) in Frühförderstellen, integrativen Kindergärten und in den Förderschulen sehr für Mädchen und Jungen mit besonderem Förderbedarf. An einigen Regelschulen gibt es auch schon positive Erfahrungen mit Inklusion.
Ich verstehe, dass es bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fördereinrichtungen Ängste gibt. Aber ihre Fachkompetenz ist doch mit dem Voranschreiten der Inklusion auch weiterhin gefragt. Und ich weiß, dass Schulen unter personeller Unterversorgung und bürokratischem Mehraufwand stöhnen. Aber es wird sich nur dann etwas ändern, wenn alle in Sachen Inklusion an einem Strang ziehen. Denn es gibt aus meiner Sicht nur sehr wenige wirkliche Gründe, die gegen die Inklusion eines Kindes sprechen. Doch Fördereinrichtungen schnell abzuschaffen, ist nicht der Weg. Im Zuge der Entwicklung in Richtung Inklusion sollten sie entsprechend weiterentwickelt werden.

Wie kann es vor Ort weitergehen?
Hilmer:
In kleinen konkreten Schritten. Zum Beispiel gab es in Dessau im Januar zum ersten Mal ein Treffen von Eltern und Interessierten, aus dem eine Initiative beziehungsweise ein Netzwerk für Inklusion entstehen kann. Im Mittelpunkt soll der Erfahrungsaustausch stehen. Wir wollen gemeinsam Möglichkeiten der gegenseitigen Unterstützung überlegen. Ebenso wollen wir Wege für das weitere Durchsetzen dieses Menschenrechtes in unserer Gesellschaft ausloten. Dazu sind weitere Interessierte – auch aus anderen Orten – herzlich willkommen. Ich finde, wenn wir eine inklusive Gesellschaft sein wollen, müssen wir zeitig in Kindertagesstätten und Schulen anfangen, damit die Teilhabe aller zur Selbstverständlichkeit wird.

Und wie ist es in der Kirche?
Hilmer:
Unsere Landeskirche Anhalts hat für den Themenbereich der Inklusion einen Stellenanteil bereitgestellt und damit verdeutlicht, dass Inklusion wichtig ist und Kirche aktiv daran mitwirkt. Kirche und Gemeinde ist ein Begegnungsraum für alle. Inklusion entspricht der christlichen Botschaft und kann in der Gemeinde konkret gelebt werden. Dies können wir nur gemeinsam verwirklichen und ich freue mich, als Ansprechpartner bei Fragen, Anregungen oder für Hilfen zur Verfügung stehen zu können.

Kontakt zu Erhard Hilmer unter Telefon (01 74) 2 47 29 83 oder per E-Mail cheanhalt.de>

Autor:

Online-Redaktion

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