Aus mit Ansage nach 150 Jahren

Verlassen: Das Johanniter-Krankenhaus in Genthin kann seinen 150. Geburtstag im nächsten Jahr nicht mehr feiern. | Foto: Thomas Begrich
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Tätige Nächstenliebe: Auch christliche und diakonische Krankenhäuser sind dem Kostendruck der Branche längst unterworfen. Ein Beispiel aus Genthin.

Von Simone Pötschke

Bevor das Genthiner Johanniter-Krankenhaus im Sommer nächsten Jahres sein 150-jähriges Bestehen gefeiert hätte, zog die Geschäftsleitung die Notbremse. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde die traditionsreiche Einrichtung zum 30. September geschlossen.
Überraschend kam dieser Schritt nicht. Laut des im Jahr 2004 beschlossenen Krankenhausplans des Landes Sachsen-Anhalt war festgelegt, dass die Klinik schließt, sobald der Neubau im Stendaler Betriebsteil des Johanniter-Krankenhauses Genthin-Stendal fertig ist. Das ist für 2019 geplant.
Die Johanniter als Träger des Krankenhauses machen in erster Linie wirtschaftliche Gründe für die vorzeitige Schließung verantwortlich. Jährlich hätte der Standort Genthin mit einer Million Euro subventioniert werden müssen. Das hätte auf die Dauer den Standort Stendal erheblich gefährdet, hieß es von der Geschäftsleitung. So sollte das Haus Ende 2017 geschlossen werden, nun wurde Ende September die Reißleine gezogen. Am letzten Arbeitstag, so berichtet der Mitteldeutsche Rundfunk, waren noch 45 Pfleger und Ärzte beschäftigt. Zuletzt waren noch eine Station für Innere Medizin und
die Rettungsstelle in Betrieb gewesen.
Die Geschäftsleitung macht für die Schließung des Krankenhauses auch den Umstand verantwortlich, dass das Einzugsgebiet zu klein für eine ausreichende Patientenzahl sei. Weil sich immer weniger Menschen in Genthin behandeln ließen, sei es schwieriger geworden, ausreichend Ärzte für das Haus zu gewinnen und zu halten. So konnte nach Ansicht der Geschäftsleitung keine qualitativ hochwertige Medizin in dem Krankenhaus mehr gewährleistet werden.
Curt von Goßler, Vorsitzender des Johanniter Kuratoriums, versicherte, alle Überlegungen der Geschäftsleitung, den Standort weiter aufrechtzuerhalten, seien an der mangelnden Wirtschaftlichkeit oder am Widerstand der Krankenkassen und des Landes gescheitert. Einige Versuche, das Krankenhaus in einer anderen Form zu erhalten, wurden unternommen – und waren doch erfolglos. So sollte das Johanniter Krankenhaus in ein Gesundheitszentrum mit Pflegeeinrichtungen und ambulanten medizinischen Angeboten umgewandelt werden. »Wir haben als gemeinnütziger Orden einiges versucht, mussten aber einsehen, dass wir uns nicht gegen Entwicklungen stemmen können«, bilanziert Curt von Goßler.
Genthin galt als Klinik der Grundversorgung und verfügte über 60 Betten. Noch 1996 wurde ein Funktionsneubau mit Rettungsstelle, zentraler Aufnahme, Operationsbereich und Behandlungszimmern eingeweiht.
Den Bau des Krankenhauses mit damals rund 30 Betten beschloss der Rittertag des Johanniterordens am 18. September 1866. Die Kosten für die erste Klinik im Elbe-Havel-Gebiet beliefen sich auf 33 450 Mark, woran sich die Johanniter-Ritter des Kreises Jerichow II mit Spenden in Höhe von 11 000 Mark beteiligten. Am 15. Juli 1868 wurde das Haus eröffnet, die Pflege der Patienten übernahmen zwei Diakonissen aus dem Mutterhaus Halle. 1926 wurde ein Anbau eingeweiht. Die Kapazität erhöhte sich damit auf 90 Betten. 1934 wurde ein Isolierhaus gebaut, womit die Bettenzahl auf 170 anstieg.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 überließ das Diakonissen-Mutterhaus in Halle den etwa 150 aus Danzig vertriebenen Diakonissen das Krankenhaus als Arbeitsfeld und Wohnsitz. Als der Johanniterorden in der russischen Besatzungszone verboten wurde, verwaltete die evangelische Kirche die Klinik und übertrug sie 1991 an den Orden zurück. Die Johanniter Krankenhäuser Genthin und Stendal fusionierten 2002 zur Johanniter Krankenhaus Genthin-Stendal gGmbH.
Die Diakonissen lebten bis 1994 auf dem Krankenhausgelände und bezogen dann ein neues Mutterhaus, das inzwischen für andere Bewohner geöffnet ist. Gegenwärtig lebt nur noch eine Diakonisse im Mutterhaus. Mittlerweile wurde auch eine Senioren-Tagespflege in Trägerschaft der Johanniter-Unfallhilfe eingerichtet. In diese Einrichtung haben auch die Grünen Damen, die bisher im Krankenhaus im Einsatz waren, ihre Tätigkeit verlegt.
Für die Menschen in Genthin wird die medizinische Versorgung mit der Schließung des Johanniter-Krankenhauses dünner, die Wege sind länger. Die nächsten Krankenhäuser befinden sich rund 25 Kilometer entfernt in Burg und Brandenburg an der Havel sowie 35 Kilometer entfernt in Stendal.
Die Schließung der Klinik sei für Genthin ein großer Einschnitt, schildert Pfarrerin Beate Eisert. Menschen verlieren ihre Arbeit, müssen sich neu orientieren oder weite Wege auf sich nehmen. Für ältere Menschen breche eine Anlaufstelle weg. Von dem Gefühl der Menschen, stärker von der Verfügbarkeit öffentlicher Einrichtungen abgehängt zu werden, spricht auch Reinbern Erben, geschäftsführender Vorstand des Diakonischen Werks im Jerichower Land.
Mit dem Rückzug der Johanniter verschwinde die tätige Nächstenliebe nicht, meint Pfarrerin Eisert. »Ich bin selbst erst zwei Jahre hier, erlebe die Genthiner aber als überwiegend freundliche und offene Menschen, die sich für andere einsetzen und ihr Christsein leben«, sagt die Theologin. Die Gemeinde hat zwar nicht direkt mit dem Krankenhaus zu tun, das Gemeindeleben ist aber stark geprägt von ehemaligen Krankenhaus-Mitarbeitern. Beate Eisert: »Diesen Geist bringen sie mit in die Gemeinde. Es ist ein bewusstes christliches Denken und ein Engagement als Gemeindemitglied für andere. Dieser Geist wird weiterhin die Gemeinde und punktuell auch die Stadt prägen.«

Hintergrund
Im Juni 2017 erfolgte der Spatenstich für den letzten Neubauabschnitt am Klinikcampus Stendal. Mehr als 30 Millionen Euro werden derzeit am dortigen Standort investiert.
In den Neubau, der 2019 bezugsfertig sein wird, zieht die Frauen- und Kinderklinik ein. Das Erdgeschoss bietet der Funktionsdiagnostik und der onkologischen Ambulanz Platz. In die erste Etage kommen 18 Intensivbetten, eine Wachstation und die Verbindung zum Operationstrakt. Mit dem neuen Gebäude wird es auch neue Abteilungen geben: die Neurochirurgie und Neurologie mit einer Stroke-Unit, in der Schlaganfallpatienten versorgt werden.

www.johanniter.de/einrichtungen/krankenhaus/genthin-stendal/

Verlassen: Das Johanniter-Krankenhaus in Genthin kann seinen 150. Geburtstag im nächsten Jahr nicht mehr feiern. | Foto: Thomas Begrich
Das Archivfoto zeigt die Mitarbeiterschaft um das Jahr 1985 | Foto: Thomas Begrich
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Kirchenzeitungsredaktion EKM Nord

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