Wasungen
"Konterrevolutionäre Provokation"

Gala-Veranstaltung in Wasungen, 2016 | Foto: Harald Krille
  • Gala-Veranstaltung in Wasungen, 2016
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Von Karin Wollschläger (kna)

Einem Eimer Bier und bürokratischer Gründlichkeit ist alles zu verdanken. Ersteren spendierte der Bürgermeister von Wasungen 1524 zum Fastnachtstreiben auf dem Marktplatz. Und weil dazu ganz korrekt eine Stadtrechnung verfasst wurde, die sich im Stadtarchiv erhalten hat, kann sich die südthüringische Kleinstadt rühmen, eine der ältesten Straßenkarnevals-Traditionen Deutschlands zu haben. Schon zu DDR-Zeiten war Wasungen eine Narrenhochburg, die überregionales Publikum anzog - und die Stasi.

Am 9. Februar begehen die Wasunger nun unter dem Motto "Hüsch wäerd's wärn" (Schön wird's werden) 500 Jahre urkundliche Ersterwähnung. Tags darauf findet der große historische Festumzug statt - mit etwa 2.000 Mitwirkenden. In dem kleinen 3.600-Seelen-Ort an der Werra werden dazu wieder rund 10.000 närrische Besucher erwartet, die mit dem traditionellen Schlachtruf "Woesinge Ahoi" durch die Straßen der Fachwerkstadt ziehen.

In den 1980er Jahren reisten um die 30.000 Besucher zu den fünf närrischen Tagen nach Wasungen. "Es hatte sich herumgesprochen, dass man in Wasungen bis zum Umfallen durchfeiern kann. Und da sind die halt aus der ganzen Republik angereist, um hier mal richtig die Sau rauszulassen", erinnerte sich später Manfred Koch, der damals Bürgermeister von Wasungen war.

Vor allem unter unangepassten jungen Leuten avancierte der Wasunger Karneval zum beliebten Reiseziel. Sie fielen vor allem durch ihren Alkoholkonsum und ihre eigenwillige "Kostümierung" auf: lange Haare und Bärte und grüne Parkas. Sie sangen verbotene Biermann-Lieder und übernachteten in Abrisshäusern und Scheunen. Die Bürger von Wasungen nannten sie schlicht die "Grünen" oder "Hippies". In Akten der Stasi heißen sie "negativ-dekadente Jugendliche".

Ihre unkontrollierte Ankunft in Wasungen forderte die "staatlichen Organe" der DDR heraus, die "staatsfeindliche Hetze, politische Untergrundtätigkeit und Rowdytum" befürchteten. Und so wurde alljährlich ein Großaufgebot von Volkspolizisten und Stasi-Mitarbeitern nach Wasungen geschickt, in größerem Umkreis wurden die Züge kontrolliert. Die Stadt war weiträumig abgeriegelt, auf allen Zufahrtsstraßen waren Sperren und Kontrollposten errichtet. Im Stasi-Unterlagen-Archiv finden sich zahlreiche Zeugnisse dieser Überwachung.

Aber auch das eigentliche Karnevalstreiben in Wasungen beäugten SED-Bezirksleitung und Stasi höchst aufmerksam. Bei der Generalprobe des Büttenabends gab es alljährlich eine quasi "ideologische Begutachtung" durch ein Gremium, dem auch ein Stasi-Vertreter und der Abteilungsleiter Kultur angehörten. Natürlich versuchten die Büttenredner zwischen den Zeilen dennoch politische Spitzen zu setzen.

Aber es war dünnes Eis, wann eine komische Pointe die Grenze zur "konterrevolutionären Provokation" überschritt. Martin Krieg, später langjähriger Präsident des Wasunger Karnevalsvereins, wurde einst "einbestellt", weil er in seiner Rede den westlichen Produktnamen "Maggi" benutzte, statt von "Speisewürze" zu sprechen. "'Sie sind schon wieder unangenehm aufgefallen', hieß es dann beim FDJ-Parteidirektor", erinnert sich Krieg.

Aber auch auf die Wagen und Slogans im Straßenkarneval hatte der Staatsapparat ein gestrenges Auge. So war die Stasi immer auf der Suche nach "mitgeführten Gestaltungselemente, die in ihrer Aussage eindeutig gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung gerichtet waren", wie ein Protokoll vermerkt. Moniert wurden etwa Plakate mit Aufschriften wie: "Im Westen viele Verwandte. Im Laden eine Tante. Raritäten unter der Hand. Wir leben im Schlaraffenland." Um bei der Observation des närrischen Treibens nicht aufzufallen, trugen viele Stasi-Genossen, so wird berichtet, zur Tarnung Mönchskutten, die sie sich vom Meininger Theater liehen.

So reich der Wasunger Karneval an Tradition ist, so arm ist er an Prinzessinnen. Es gehört zu den örtlichen Eigenheiten, dass "Prinz Karneval" alljährlich als Single regiert. "Aber er wird immer von zwei liebreizenden weiblichen Pagen begleitet", erklärt Marcel Kißlich, Präsident des Wasunger Karnevalsvereins. Ein einziges Mal habe es eine närrische Doppelspitze gegeben: "Das war in den 1970er Jahren. Da gab es eine Karnevalsprinzessin. Sie hatte ein einmaliges Anrecht erworben - weil sie an einem Rosenmontag in Wasungen geboren worden war."

Autor:

Katja Schmidtke

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