St. Jakobi Hettstedt
Diskurs zur Ethik eines Suizides auf Verlangen

Im Rückblick betrachtet kam die Diskussion, welche ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung angestoßen hat nun zur Unzeit. Der BGH hat das Verbot für verfassungswidrig eingestuft. Dieser Beitrag kann keine juristische Aufarbeitung und keine standesethische Empfehlung der Ärzteschaft vorwegnehmen. Er ist gesprächsanregend aus einer christlichen Sicht.

In der Corona- Pandemie standen plötzlich ethische Fragen zu jedweden Schutz des Lebens auf der Tagesordnung. Die ganze Bevölkerung war betroffen, zum Schutz des Lebens freiwillig oder angeordnet erhebliche Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte in Kauf zu nehmen. Erstaunlich daran ist, wie selbstverständlich dieses von der überwiegenden Mehrheit angenommen worden war. Wobei es nicht ausschließlich um ein Selbsterhaltungsrecht sondern vordergründig um den Schutz der besonders Schwachen und Bedürftigen ging. Dies macht das Dilemma nachdrücklich deutlich. Nun setzen die Befürworter der assistierten Selbsttötung darauf, dass jeder Mensch in seiner Eigenverantwortung persönliche Freiheiten hat. Im Fall der Pandemie lässt sich dies aber so nicht mehr auf die gesellschaftliche Norm einer Mehrheit übertragen. Die Mehrheit muss davon ausgehen, wenn sie sich für den Erhalt, auch des mir persönlich unbekannten Lebens beschränkt, dass dieses dies so auch uneingeschränkt möchte. Wen diese Grundvoraussetzung angenommen wird, können die Befürworter eines frei verantworteten Suizides leicht außerhalb dieser allgemein in Zeiten der Pandemie sichtbaren Norm zum Schutz des Lebens in der Gesellschaft driften. Hierbei geht es nicht darum, den ganz persönlichen Deutungshorizont abzuwägen. An dieser Stelle verfängt die berühmte Ausnahmeregelung, die jeder Regel sprichwörtlich innewohnt, nicht. Dazu muss noch nicht einmal mit der Unnachgiebigkeit eines allgemein gültigen kantschen Imperativs argumentiert werden.

Das Recht auf Leben ist unveräußerbar. Dagegen mag auch der Kontrollverlust über die eigenen Lebensmöglichkeiten in bestimmten Krankheitsphasen kein wesentliches Argument sein. So die oft zitierte Angewiesenheit auf Dritte, denen sich der leidende Mensch vollständig ausliefern muss, da er möglicherweise noch nicht einmal mehr die Gelegenheit hat bewusst oder unbewusst, darauf zu reagieren. Richtig ist, dass der Aspekt, dass die Entscheidungsmöglichkeit mit zunehmender Erkrankung eingeschränkter werden kann, immer gegeben ist. Übersehen wird aber auch, dass mit dem Weg zur Hinfälligkeit man bei sich selbst bleiben kann. Indem man auf diesem Weg loslassen lernt. Loslassen im Sinne eines Vergänglichkeitsprinzips gehört zur allgemeinen Lebenserfahrung. Hierunter zählt auch das unerwartete Leid zum Beispiel durch einen Unfall. Der Einwilligungsfähigkeit der leidenden Person sind enge Grenzen in der fortschreitenden Krankheit gesetzt. Die moderne Palliativmedizin ist hervorragend entwickelt und kann der Wahrnehmung von Schmerzen, die mit dem körperlichen Verfall einhergehen, gute therapeutische Behandlungen anbieten. Auch stellen die Hospize eine Begleitung in der finalen Lebensphase dar. So handelt es sich nun nicht mehr um eine Lebensverlängerung um jeden Preis. Das Leben wird in seiner allgemein anerkannten Freiheit begleitet, einen letzten Punkt zu finden.

Von der christlichen Vorstellung, Gott das geschenkte Leben wieder zurück zu überantworten ausgehend, können persönliche Regelungen in einer Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung formuliert werden. Mich hat schon etwas gewundert, dass der Aufschrei nicht hörbarer ausgefallen ist. Wie kann es sein, dass verlernt wurde, auf das Verlangen des Suizides eines Menschen bestürzt zu reagieren? Die Feststellung negiert nicht den Respekt vor dem freien Willen des Einzelnen. Eher würde der Ausnahmefall zum Regelwerk erklärt und damit das Dienstleistungsangebot von Organisationen, welche sich gerade zudem Zweck gegründet haben, profitabel oder nicht diese Assistenz feil zu bieten. Wer hier über den Einzelfall hinausgehen will, denn für diesen gibt es schon genügend Handlungsspielraum, wird damit rechnen müssen, dass es weitreichende gesellschaftliche Auswirkungen im Verständnis von Leben und Sterben hätte. In der Stellungnahme der EKD heißt es: „Die gesetzliche Regelung wirkt nicht nur auf das ärztliche Ethos, sondern die Haltung der Gesellschaft zu Leben und Sterben und die Verantwortung der Menschen füreinander im Zusammenhang mit dem Sterben kann sich dadurch grundlegend ändern. Daher sollte von einer solchen Regelung der ärztlichen Suizidbeihilfe abgesehen werden.“* Ich meine, die Zeit der Pandemie hat deutlich gemacht, dass unsere Gesellschaft gerade in der Verantwortung füreinander und das Leben in ihr Hervorragendes geleistet hat. Die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung, gehört nach meiner Meinung eher nicht dazu.

EKD Texte 97

Der Autor ist Mitglied eines Klinischen Ethikkomitees.

Autor:

St. Jakobi Online- Redaktion Sebastian Bartsch

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