Blickwechsel
«Es gibt kein Wort für diesen Schmerz»

Schutzbriefe gegen weibliche Genitalverstümmelung. In dem Faltblatt – kleiner als ein Pass – steht, dass der folgenschwere Eingriff in Deutschland verboten ist und mit Haft und Kindesentzug bestraft werden kann. Eltern sollen das Kärtchen mitführen, wenn sie mit ihren Töchtern zu ihren Familien reisen, um sie zu schützen. | Foto: Foto: epd-bild/Peter Jülich
  • Schutzbriefe gegen weibliche Genitalverstümmelung. In dem Faltblatt – kleiner als ein Pass – steht, dass der folgenschwere Eingriff in Deutschland verboten ist und mit Haft und Kindesentzug bestraft werden kann. Eltern sollen das Kärtchen mitführen, wenn sie mit ihren Töchtern zu ihren Familien reisen, um sie zu schützen.
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  • hochgeladen von Mirjam Petermann

Die gebürtige Somalierin Fadumo Korn weiß um die Wirkung ihrer Worte, wenn sie ihre eigene Beschneidung schildert. Korn ist Vorsitzende des Vereins «Nala – Bildung statt Beschneidung». Sie überreichte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) Ende Juni eine Petition mit 125 000 Unterschriften zur Bekämpfung der genitalen Verstümmelung. Die Zahl der Frauen in Deutschland, deren Genitalien verstümmelt wurden, ist in den vergangenen drei Jahren auf knapp 68 000 gestiegen, 2017 ging man noch von 44 000 Frauen aus. Begründet wird der starke Anstieg damit, dass mehr Frauen aus Ländern zuwandern, in denen die genitale Verstümmelung weiter praktiziert wird. Dazu zählen Eritrea, Somalia, Indonesien, Nigeria und Ägypten.

Fadumo Korn, die seit 40 Jahren in Deutschland lebt, ist eine von ihnen. In der Steppe Somalias, festgehalten von zwei Frauen und ohne Betäubung, wurde sie, als sie sieben Jahre alt war, ihrer Weiblichkeit beraubt, sagt sie. Ohne medizinische Versorgung, zeitweilig im Koma und gegen alle Wahrscheinlichkeit habe sie überlebt: «Es gibt kein Wort, das diesen Schmerz beschreiben kann. Eine Frau nimmt die Klitoris in die Hand, nimmt eine Rasierklinge und schabt sie bis zu den Knochen herunter.»

Die traditionelle Beschneidung, die als «Reinigung» von der gefährlichen Klitoris oder Ritual an der Schwelle zum Frausein praktiziert wird, zählt zu den schwersten Menschenrechtsverletzungen. Mädchen und jungen Frauen wird die Klitoris weggeschnitten, oft auch die kleinen Schamlippen. Weltweit sind der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge rund 200 Millionen Frauen auf diese Weise verstümmelt. Jedes Jahr werden weitere zwei bis drei Millionen Mädchen Opfer dieser Gewalt. Die Frauen tragen lebenslange, häufig schwere Behinderungen davon.

Fadumo Korn sagt, ihre eigene Behinderung habe sie vor die Wahl gestellt: zu leiden oder zu kämpfen. Frauen wie sie, die die Traditionen kennen und den direkten Zugang zu Einwanderern haben, die ihre Töchter beschneiden lassen wollen, könnten tatsächlich Verhaltensänderungen bewirken, sagt sie. Korns Verein fordert auf seiner Website aber auch alle anderen auf, Anzeichen für eine bevorstehende Beschneidung der Polizei und dem Jugendamt zu melden und «sich nicht von Gedanken an ›Tradition‹, ›Kultur‹, ›Religion‹ oder aus Angst davor, als ›rassistisch‹ zu gelten, abhalten zu lassen».

In Deutschland ist Giffey zufolge die Bedrohungslage nur schwer zu einzuschätzen, weshalb die Spanne zwischen 2800 und fast 15 000 gefährdeten Mädchen liegt. Die geringere Zahl ergibt sich, wenn in der zweiten Einwanderergeneration keine genitalen Verstümmelungen mehr vorkämen, die höhere, wenn hier geborene Mädchen weiter als bedroht angesehen werden müssen. Genitalverstümmelung ist eine Straftat, die aus Deutschland auch dann verfolgt wird, wenn sie im Ausland geschieht. Verurteilungen gibt es aber kaum. Die Zahlen bewegten sich in den Jahren von 2016 bis 2018 jeweils im einstelligen Bereich.

Für Franziska Giffey sei es zur Abwendung weiterer Fälle besonders wichtig, mit Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, da diese es schafften, «Aufklärung und präventive Maßnahmen in die jeweiligen Communities hineinzubringen». Sie stellte in Aussicht, dass Organisationen wie «Nala», die sich bisher allein aus Spenden finanzieren, besser unterstützt werden. Die in Deutschland arbeitenden Vereine haben sich im »Netzwerk zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung ›Integra‹« zusammengeschlossen. (Bettina Markmeyer /epd)

Autor:

Online-Redaktion

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