Ein Ort zum Kraft tanken

Bundesweit einzige Polizeikirche: Polizeipfarrer Michael Bertling an einem seiner Arbeitsplätze, der knapp 190 Jahre alten, neoromanischen Kirche in Dessau-Großkühnau. | Foto: Lutz Sebastian

»Polizeigemeinde«: In der Kirche von Dessau-Großkühnau hat sie einen Raum gefunden

Von Danny Gitter

Der mediale Hype im März 2014 war groß, als im Dessauer Ortsteil Großkühnau die bundesweit erste und bisher einzige Polizeikirche eingeweiht wurde. Längst ist diese Aufmerksamkeit verflogen und der Alltag eingekehrt. Michael Bertling, der Polizeipfarrer der Landeskirche Anhalts, kann hier in Ruhe seinen Dienst verrichten. Obwohl er im Berufsalltag eher selten in Großkühnau anzutreffen ist. In der Zentrale der Polizeidirektion Ost in Dessau hat der Pfarrer ein Dienstzimmer. Den allergrößten Teil seines Dienstes verbringt er aber draußen. Die Polizeidienststellen in der Doppelstadt Dessau-Roßlau sowie in den angrenzenden Landkreisen Anhalt-Bitterfeld und Wittenberg besucht Michael Bertling regelmäßig. So hält er am besten Kontakt zu den Polizeibediensteten. Er führt Gespräche, hat ein Ohr für die Sorgen und Nöte der Männer und Frauen in Uniform und kommt bei Bedarf auch zu den Beamten nach Hause.
In die Kirche nach Großkühnau kommen in Relation dann doch eher wenige. Michael Bertling spricht zwar von seiner »großen Gemeinde«, wenn er über die spricht, für die er da ist. Doch nur wenige in seiner »Polizeigemeinde« haben direkten Zugang zu Glauben und Religion. »Nur rund sechs Prozent der Polizeibediensteten in der Region Anhalt sind konfessionell gebunden«, erzählt der Pfarrer. In der Gesamtbevölkerung sind es immerhin rund 17 Prozent. Die Kirchenferne von Polizisten ist eine Erblast aus der Zeit vor 1990. Wer in der DDR eine Laufbahn bei der Polizei einschlagen wollte, der musste sich von Kirche fernhalten. »Ein bisschen waren wir Pfarrer für die Ordnungshüter auch immer die Vertreter einer fremden Macht«, erzählt Michael Bertling.
Wie schafft es da jemand wie er, in Polizeikreisen Respekt und Anerkennung zu finden? Die Antwort liegt in der Biografie des 56-Jährigen. In Halle geboren, an der Ostsee aufgewachsen, zieht es ihn zunächst zur DDR-Marine. Doch irgendwann wollte er nicht mehr kaserniert sein und entschloss sich, etwas völlig anderes zu machen. In einem Elternaus aufgewachsen, das der Institution Kirche durchaus wohlgesonnen, dort aber nicht aktiv war, fand er nach der Zeit bei der Marine das, was er suchte: Dienst am Menschen und Freiheit im Denken. Ein Theologiestudium folgte. 1992 dann die Ordination zum Pfarrer mit der Übernahme der Kirchengemeinde Osternienburg bei Köthen. Als Dorfpfarrer wollte sich Michael Bertling in die Dorfgemeinschaft mit noch mehr als seinem Glauben einbringen und wurde aktiver Kamerad bei der Freiwilligen Feuerwehr.
Die Zeit bei der Marine und die Erfahrung bei der Feuerwehr verleihen ihm bei der Polizei so etwas wie Stallgeruch. Die Beamten wissen, dass ihnen keiner gegenübersitzt, der aus einem Elfenbeinturm heraus denkt, sondern einer, der aus eigener Erfahrung weiß, wie mit seelisch belastenden Situationen umzugehen ist.
2006 bekommt Michael Bertling eine halbe Stelle als Polizeipfarrer. Seit 2012 arbeitet er Vollzeit in dieser Funktion. Der Polizeiseelsorgebeirat, dem Vertreter der anhaltischen Landeskirche und der Polizeidirektion Ost angehören, forcierte das Projekt Polizeikirche. Mit ihm als Polizeipfarrer ist die Schwellenangst für viele Polizeibedienstete gering, die Kirche zu betreten. »Es soll ein Schutzraum sein, wo jenseits aller Hierarchien Kraft getankt und Gedanken geordnet werden können«, beschreibt Michael Bertling die wichtigste Funktion der Kirche.
Auch Familientage für Polizeibedienstete und ihre Angehörigen, Segnungen zu Ehejubiläen von Polizisten und Trauerfeiern für im Dienst verstorbene Polizeibedienstete finden hier statt. Zudem gibt es regelmäßig Schulungen zur polizeilichen Berufsethik in der Kirche und im benachbarten Pfarrhaus.
Der Begriff Polizeikirche füllt sich immer mehr mit Leben. Auch über Anhalt hinaus wird das Projekt wahrgenommen. Andere Polizeidirektionen und die Bundespolizei informierten sich schon vor Ort über das Konzept. Wenngleich eine Polizeikirche nicht bedeutet, dass dort die Polizei dominiert. Das altehrwürdige Gemäuer in Großkühnau ist zugleich Gemeinde- und Radfahrerkirche.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion Evangelische Landeskirche Anhalts

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