Kirchentag
DEKT - Bibelarbeit „Du hast klug argumentiert“

- Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl gestalteten gemeinsam eine Bibelarbeit.
- hochgeladen von Saskia Bugai
Im Theater am Aegidienplatz war am 10. Mai jeder Platz belegt, als Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl gemeinsam eine Bibelarbeit gestalteten. Keine klassische Auslegung, sondern eine dialogische Annäherung an einen faszinierenden Bibeltext. Offen, streitbar, nachdenklich – und ohne klares Fazit.
Im Zentrum stand Markus 7,24–30: Die Begegnung Jesu mit der nichtjüdischen Frau, deren Tochter schwer krank ist. Für viele Betroffene heute eine nachvollziehbare Situation: Die Sorge um ein Kind, das leidet. Eine Krankheit, die das Leben aller Beteiligten aus den Fugen bringt. Die Frau sucht Hilfe – ausgerechnet bei einem jüdischen Lehrer, einem Fremden, einem, der zuerst ablehnend reagiert. Ihre letzte Hoffnung. Was folgt, ist kein einfühlsames Gespräch – sondern ein Konflikt. Jesus tritt in dieser Szene ungewohnt hart auf. Er weist sie zurück. Doch die Frau weicht nicht. Sie bleibt. Hält aus. Widerspricht. Und während die Erwachsenen diskutieren, ist das Kind längst gesund.
„Ich wünsche, dass alle Elternkranker Kinder spüren, wie nah Gott bei ihnen ist“, sagte Bischof Gohl – ein stiller, eindrücklicher Satz, der das Herzstück der Geschichte berührt: das Vertrauen in Gottes Nähe mitten im Leid.
Kretschmann hob die argumentative Kraft der Frau hervor. Sie diskutiert – und verändert damit etwas. „Du hast klug argumentiert“, zitiert er Jesus. „Aus der Begegnung entsteht ein Dialog. Aus dem Dialog Erkenntnis. Und aus der Erkenntnis Wandel.“ Für den Grünen-Politiker ist das eine starke Botschaft in einer Zeit, in der sachlicher Streit immer seltener wird. „Der Streit gehört zur Demokratie!“, betonte er. Aber ein Streit mit Regeln, mit Respekt, mit einem Fundament aus Vertrauen und rechtlichem Rahmen. Genau das werde zunehmend untergraben – durch Populisten, Trolle, durch die Verachtung des Diskurses. „Ein fairer Aushandlungsprozess ist mehr wert als ein schneller Deal. Wir geben unsere Freiheit auf, wenn wir uns diesen Prozessen nicht mehr stellen.“ Der Applaus war deutlich.
Bischof Gohl verwies auf den geografischen Kontext: Die Gegend um Tyrus – nichtjüdisches Gebiet. Die Frau ist keine Jüdin, aber offenbar gebildet, wohlhabend. Sie begegnet Jesus, dem armen Mann aus Galiläa, und wirft sich vor ihm nieder. „Eine Begegnung zwischen Arm und Reich“, so Gohl. Eingebettet ist die Szene zwischen zwei Speisungswundern – Geschichten von Hunger, Mangel, geteiltem Brot. „Erfahrungen von Armut und Hunger sind menschliche Schlüsselerfahrungen.“ Auch Kretschmann nahm diesen Faden auf: „Die da oben müssen denen da unten etwas abgeben. Wir müssen mit den Menschen teilen – denn jeder Mensch ist gleich viel wert.“ Eine klare sozialpolitische Botschaft, die in der Bibelarbeit ebenso Raum hatte wie persönliche und spirituelle Perspektiven.
Besonders eindrucksvoll: Die Frau bleibt – ohne sich zu empören, ohne beleidigt zu sein. Sie hält aus, hört zu, widerspricht mit Würde. Ein Bild für zivilisierten Streit – den Gohl und Kretschmann als grundlegendes Element einer offenen Gesellschaft beschrieben. „Ein Streit, der Unterschiede aushält und Fairness achtet, eint. Ein Streit, der auf Kränkung basiert, trennt.“ Es war eine Bibelarbeit, die bewusst keine fertige Antwort geben wollte. Kein Amen, kein Schlusswort. Dafür Denkanstöße – in die Gesellschaft hinein. In das politische Gespräch. In die Familien, in denen Kinder krank sind. In die Kirche.
Am Ende: langer Applaus. Für zwei Redner, die miteinander, mit dem Text und mit dem Publikum in Beziehung traten – respektvoll, klug, herausfordernd.
Autor:Saskia Bugai |
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