Sieben Jahrzehnte am Spieltisch

Ein musikalisches Multitalent: Seit mehr als 70 Jahren sorgt Hans Umbreit mit seinem Orgelspiel für den musikalischen Lobpreis in den Gottesdiensten. Daneben war er Chorleiter, Musiker, Musiklehrer und jahrelanger Leiter des Jugendblasorchesters Wölfis. | Foto: Klaus-Dieter Simmen
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  • Ein musikalisches Multitalent: Seit mehr als 70 Jahren sorgt Hans Umbreit mit seinem Orgelspiel für den musikalischen Lobpreis in den Gottesdiensten. Daneben war er Chorleiter, Musiker, Musiklehrer und jahrelanger Leiter des Jugendblasorchesters Wölfis.
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Als Zwölfjähriger stieg Hans Umbreit an jenem 24. Dezember die Stufen empor und nahm Platz an der Orgel, nicht zum ersten Mal, aber doch erstmalig, um den Gottesdienst in der Kirche in Wölfis am Heiligen Abend zu begleiten.

Von Klaus-Dieter Simmen

Der Junge war aufgeregt und spielte die Noten einfach vom Blatt herunter, nicht ganz fehlerfrei. Lob bekam er trotzdem. Pfarrer Brettschneider baute ihn auf, gab ihm Selbstvertrauen. Der Mann war auf das Kind angewiesen. Damals, 1947, fehlte es auch in Wölfis an jungen Männern für diese Aufgabe. Beim Gottesdienst zum Heiligen Abend 2017 saß Hans Umbreit wieder an der Orgel. Zwischen beiden Auftritten liegen 70 Jahre.
»Dass soviel Zeit vergangen ist, mag ich gar nicht wahr haben«, sagt der mittlerweile 83-Jährige. Musik hat den Spross einer Bauernfamilie sein Leben lang begleitet. Die Mutter spielte Klavier, der Großvater auch und der Ururgroßvater schlug bei der Kavallerie hoch zu Ross die Pauke. In Wölfis nichts Ungewöhnliches, sagt er, da spiele doch mindestens einer in jedem Haus irgendein Instrument. Bei Umbreits war es das Klavier. »Pflichtfach sozusagen in der Familie«, meint der Jubilar.
Der erste Lehrer war der Großvater. »Und der hatte mich immer unter Aufsicht, sogar beim Skatspielen. Da hieß es Achtzehn, Zwanzig, dann drehte er den Kopf ein Stück in meine Richtung und sagte: Fis!« Fleißig geübt hat das Kind von Anfang an aus eigenem Antrieb. »Vielleicht, weil ich das viel lieber tat, als auf dem Feld mitzuarbeiten«, erinnert sich Hans Umbreit augenzwinkernd. Später genoss er bei Kantor Munk in der Bach-Stadt Ohrdruf eine musikalische Ausbildung.
Musiker war sein großer Berufswunsch. Die Eltern verweigerten es dem Sohn. »Na ja, heute kann ich das verstehen, sie hatten manchen Lebens-
weg Wölfiser Berufsmusiker vor Augen, der krachend gescheitert war.« So lernte Umbreit das Tischlerhandwerk, die Musik aber immer im Kopf behaltend. Dass er mit Gleichgesinnten schon bald eine Tanzkapelle gründete, war unabdingbar. Bis spät in die Nacht spielten die Musiker sonnabends auf den Tanzsälen der Region. Während seine Kollegen am Sonntag ausschliefen, saß Hans bereits in der Kirche an der Orgel. »Manchmal fiel es mir schwer, aus dem Bett zu kommen, doch wenn ich die Ratzmann-Orgel spielte, war das vergessen.« Der Kontrast zwischen Tanzmusik und Orgelbegleitung in der Kirche hat Hans Umbreit fasziniert, hat ihn gelehrt, die Königin unter den Instrumenten bewusster wahrzunehmen. Lange hat es den jungen Mann im Tischlerhandwerk nicht gehalten. Er begann ein Studium an der Hochschule »Franz Liszt« in Weimar. Diplomierter Musikpädagoge war das Ziel, das er mit einem »Sehr gut« erreichte. Wann immer sich während seiner Weimarer Zeit Gelegenheit bot, setzte er sich in die Vorlesung von Professor Johannes-Ernst Köhler. »Ich hatte Orgel als Fach nicht belegt, aber ich saß gern dort, weil ich viel lernen konnte. Und dem Professor gefiel der junge Mann aus Wölfis, der sich so offensichtlich fürs Orgelspiel begeisterte«, erzählt der Jubilar.
Am Heiligen Abend des vergangenen Jahres ehrte die Kirchengemeinde Wölfis ihren Organisten. Sieben Jahrzehnte übt er dieses Amt aus, damit ist er in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland einer der Dienstältesten in diesem Ehrenamt. In der EKM versehen den sonntäglichen Orgeldienst 175 hauptamtliche Kirchenmusiker. Die Zahl der ehren- oder nebenamtlichen Organistinnen und Organisten schätzt Jürgen Dubslaff, der Geschäftsführer des Zentrums für Kirchenmusik, auf 1 300. Dabei sei jedoch nicht unterschieden, »ob jemand regelmäßig spielt oder nur gelegentlich Vertretungen übernimmt«.
Als er vorm Altar noch einmal eingesegnet wurde, ging ihm das sehr nahe. Da dachte er nicht nur an die schönen Seiten seines Lebens, da blickte er auf die Schicksalsschläge, die ihn in seinem Leben trafen. Den Tod der Tochter und den der Ehefrau hat er nur schwer verwunden. Da, sagt er, habe er als Christ am Glauben gezweifelt. »Dass über all die Trauer meine Gesundheit stabil blieb, dass ich weiter meiner Musik nachgehen konnte, hat mir geholfen«, bekennt er heute. Und auch der Lebensweg des Sohnes, der es, nach etlichen Fehlschlägen, schaffte, Mitglied der Dresdner Staatskapelle zu werden. Dort ist er Posaunist; bei den »Elb Meadow Ramblers«, einer Old-Time-Jazz-Band, sitzt er am Klavier. Das macht den Vater natürlich stolz.
Seit etlichen Jahren ist die Ratzmann-Orgel in der Wölfiser Kirche stumm. »Die Reparatur würde eine Viertelmillion Euro kosten, das kann unsere Kirchgemeinde nicht stemmen«, bedauert der Organist. So ist die neue Orgel wohl mehr als ein Provisorium. »Aber sie spielt und alle Töne stimmen, auch wenn sie das Gotteshaus nicht annähernd ausfüllt, wie die alte Orgel.« Eine »richtige« bedient er im Nachbarort Gossel, alle zwei Wochen ist er dort.
Den Dienst in Wölfis teilt er sich mit Martin Fritze, einem Schüler von Umbreit. »Der ist mittlerweile auch schon an die siebzig«, sagt er. Sieben Pfarrer habe er erlebt in Wölfis, an der Orgel saßen aber stets nur Martin und Hans. Der 83-Jährige übt immer noch täglich und lernt dazu. Beispielsweise im Orgelsommer, wo er den Koryphäen auf die Finger schaut, wenn er für sie, beispielsweise an der Thielemann-Orgel in Gräfenhain, die Noten umblättert. Und wo er mit ihnen ins Gespräch kommt. Da, sagt er, spüre er das Alter gar nicht.
Mit über achtzig Jahren blickt der Mensch zurück, zwangsläufig. Dann könne er, Hans Umbreit, sein Leben auf eine einfache Formel bringen: Gott sei Dank!

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