Marienkirche Gardelegen
"Fake News" zur Passion

Eine Darstellung in der Marienkirche Gardelegen zeigt zwei Juden, die Jesus die Dornenkrone aufsetzen. | Foto: Ruth-Barbara Schlenker
  • Eine Darstellung in der Marienkirche Gardelegen zeigt zwei Juden, die Jesus die Dornenkrone aufsetzen.
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Dieser Tage wird der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus und allem, was dazu gehörte, vor 80 Jahren gedacht. Solche „Wenden“ sind in der Geschichte der Menschen immer gefährlich, gebärden sich doch die zum Abtritt gezwungenen Machthabenden noch einmal teuflisch, um zu retten, was nicht zu retten ist. Viele Menschen wurden in dieser Übergangszeit noch umgebracht, unter anderem Dietrich Bonhoeffer.
Ich werde heute an den Gedenkort Isenschnibbe bei Gardelegen fahren, wo am 13. April 1945 insgesamt 1016 Menschen eines Todesmarsches in eine große Feldscheune eingepfercht wurden. Die Scheune wurde angezündet, wodurch sie lebendig verbrannten.
Dieser Ereignisse wird nun an den Orten des Geschehens gedacht, sie fallen zeitlich eigentlich immer in die Passionszeit. Dort treten oft auch Geistliche mit Ansprachen oder Andachten auf. Aber hat dieses Gedenken auch einen Platz im Kirchenjahreskalender? Seinen Ort in der Mitte der Gottesdienstgemeinde?
Anbieten würde sich der Sonntag Judika „Richte mich, Gott“ mit dem passenden Psalmwort: „Errette mich von den falschen und bösen Leuten … Sende dein Licht.“
Gern hätte ich zur Einstimmung in die nachmittägliche Feierstunde am Gedenkort vormittags einen Gottesdienst in der Marienkirche Gardelegen besucht. Nein. Das geht nicht.
Dort ist seit dem Mittelalter im Angesicht der Gemeinde ein starkes, historisch sehr belastetes, antijudaistisches Motiv in Szene gesetzt: Zwei Männer mit Judenhüten drücken Jesus die Dornenkrone ins Gesicht. Man kann als Gottesdienstgast nicht daran vorbeischauen. Dieses Bild ist falsch. So steht das nicht in der Bibel. In der Bibel sind die Schergen römische Soldaten. Diese antijudaistische Darstellung regt mich zu sehr auf, als dass ich hier Andacht finden könnte.
Weiß denn die Gemeinde von diesem Debakel? Nimmt auch sie wahr, was mich so stört? Geht es möglicherweise auch anderen so? Lügengeschichten, falsche Bilder, die sich fest ins Gehirn brennen, sind auch heute noch fatal. Schon die Nationalsozialisten haben dieses falsche Bild für Agitationszwecke benutzt. Ein Gardelegener erzählt mir, was er noch in den 1980er-Jahren von einer älteren Frau aus der Kirchgemeinde zum Thema Shoa sagen hörte: „Die Juden in Gardelegen, das waren alles liebe Leute. Wir kamen gut mit ihnen aus. Aber die Juden haben nun einmal unseren Heiland umgebracht!“
Lässt sich die Kirchgemeinde ermuntern, sich mit ihrem fragwürdigen Kunstwerk auseinanderzusetzen? Übertünchen wäre wohl keine Option, man kann unsere Geschichte nicht übertünchen. Aber wenigstens für die Zeit des Gottesdienstes das Bild mit einem langen Vorhang von der Kirchendecke herab – oder sonstigem – verhüllen, das würde Menschen wie mir helfen, gern zum Gottesdienst in die Marienkirche zu kommen.
Der diffamierende Missstand wäre ein Thema, zu dem Künstler heute mit Gewissheit gute Lösungen einfallen. In der Auseinandersetzung mit den Entwürfen würde die Gemeinde an dem Thema wachsen. Die Marienkirche Gardelegen, bisher noch mit einem Makel behaftet, wäre in Kürze Anziehungspunkt für viele Interessierte! Und die Stadt hätte einen guten Ort mehr, an dem sie der Opfer von Ausgrenzung, Vertreibung, Ausrottung zeitgemäß gedenken kann.
Ruth-Barbara Schlenker, Pfarrerin i. R., Geschichtswerkstatt Stendal e.V.

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