Im Zeichen der Palme

Prinzessinnenhaus in Köthen: Die vor zehn Jahren gegründete Neue Fruchtbringende Gesellschaft ist eine der Nutzerinnen dieses schmucken, spätbarocken Gebäudes am Schloss. | Foto: Heiko Rebsch
  • Prinzessinnenhaus in Köthen: Die vor zehn Jahren gegründete Neue Fruchtbringende Gesellschaft ist eine der Nutzerinnen dieses schmucken, spätbarocken Gebäudes am Schloss.
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Die deutsche Sprache verdankt ihr Begriffe wie Fernglas, Jahrhundert oder Leidenschaft. Auch die Großschreibung von Substantiven geht zurück auf die älteste deutsche Sprachakademie.

Von Thomas Bickelhaupt

Die Fruchtbringende Gesellschaft zählte einst mehr als 800 Mitglieder und war im Jahrhundert nach der Reformation die größte Akademie im damaligen Deutschland. Ihr Gründungstag jährt sich am 24. August zum 400. Mal.
Vorbild war die schon seit 1583 bestehende Accademia della crusca in Florenz. Das Wort für Kleie war den Mitgliedern Programm: Sie wollten in der Sprache die Spreu vom Weizen trennen und so das Italienische durch stetes Reinigen bewahren und fördern. Für den Köthener Italien-Freund und Fürsten Ludwig, der seit dem Jahr 1600 der »Kleiegesellschaft« angehörte, war das Anliegen der Florentiner ein wichtiger Gründungsimpuls für eine ähnliche Initiative in Deutschland. Zur Realität wurde sie im Sommer 1617 in Weimar.
Fortan versammelte die älteste deutsche Sprachgesellschaft Fürsten und Adlige ebenso wie namhafte Dichter jener Zeit, Gelehrte, Minister und Militärs. Die Palme als ihr Wappen symbolisierte aufrechtes Wachstum und die Nützlichkeit aller Pflanzenteile für den Menschen. Weitgehend ausgeschlossen indes blieb die Geistlichkeit: Angesichts der konfessionellen Spannungen vor dem Dreißigjährigen Krieg wollte die »teutschhertzige« Vereinigung dem »Theologengezänk« keinen Raum geben.
Stattdessen wandte sich die protestantische und patriotische Akademie gegen das höfische Französisch wie gegen das dominierende Latein in der Wissenschaft. In der Sprachpflege sahen sie zudem einen Beitrag zu Tugendhaftigkeit, Offenherzigkeit und Redlichkeit. Zusätzlich fühlten sie sich legitimiert durch Martin Luther. Er habe hundert Jahre zuvor die Bibel »unter der Banck hervorgezogen« und »in unsere Teutsche Sprache wolvernemlich und kunstgründig gedolmetschet«, hieß es in einem zeitgenössischen Bericht.
Um die Kommunikation nicht durch Standesunterschiede zu erschweren, agierte jedes Mitglied ausschließlich mit seinem Gesellschaftsnamen. Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen etwa war »Der Nährende«, Martin Opitz »Der Gekrönte« und sein Dichterkollege Andreas Gryphius »Der Unsterbliche«. Die Mitgliederverzeichnisse in den Gesellschaftsbüchern sind kunstvoll illustriert mit Kupferstichen von Pflanzen und charakterisierenden Versen zu den barocken Beinamen.
Obwohl die Gesellschaft schon in den 80er-Jahren des 17. Jahrhunderts wieder zerfiel, hat sie mit Rechtschreibregeln und nicht zuletzt mit zahlreichen neuen Wörtern und Begriffen die deutsche Sprache und Dichtung nachhaltig beeinflusst. Zwar sind die Gelehrten uneins darüber, ob die Gründung in Weimar tatsächlich stattfand oder nur eine spätere Zuschreibung ist. Gleichzeitig aber ist mit den internationalen Forschungen seit den 1970er-Jahren ein aufschlussreiches Personenlexikon des Barock entstanden.
Die Intentionen der Akademie führt seit zehn Jahren die Neue Fruchtbringende Gesellschaft in Köthen weiter. Ein literarisches Denkmal setzte der spätere Nobelpreisträger Günter Grass (1927–2015) der Sprachakademie schon 1979: In seiner Erzählung »Treffen in Telgte« schildert er in barocker Manier eine fiktive Begegnung, bei der berühmte Mitglieder am Vorabend des Westfälischen Friedens über die Verantwortung des Dichters für eine friedliche Welt sinnieren. (epd)

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