Die Netz-Gemeinde

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Virtuelle Kapelle: Die Digitalisierung schreitet auch in der Kirche voran. Mit einem
bundesweit einmaligen Projekt startet demnächst die EKM. Initiator ist Karsten Kopjar. Mit dem Experten für Digitales und Verkündigung sprach Willi Wild.

Was muss ich mir unter einer Online-Kirche vorstellen?
Kopjar:
Also, wir wollen keine neue Kirche gründen, sondern wir wollen eigentlich in der Kirche die Diskrepanz zwischen Online- und Offline-Leben aufheben.

Klingt modern, verstehe ich aber nicht.
Kopjar:
Bei Kirche denken viele Leute an Folgendes: Sonntagmorgen um 10 Uhr gehe ich in ein Steingebäude, setze mich auf eine Bank, höre irgendjemandem zu, bin in gewisser Weise beteiligt, gehe nach einer Stunde wieder nach Hause und lebe meinen Alltag. Das ist so ein typisches Offline-Kirche-Leben. Und das ist auch gut. Das wollen wir gar nicht aufheben.
Aber daneben merken wir in den letzten 10 bis 20 Jahren, dass immer mehr Leute online kommunizieren. Das heißt: Ich schreibe E-Mails, ich bin im Internet unterwegs, ich nutze Smartphones und ähnliches. Und kommuniziere da mit echten Menschen. Das heißt, ich schreibe Nachrichten an andere Menschen über ein Online-Medium. In dieser Welt kommt Kirche überhaupt nicht vor. Die Diskrepanz wollen wir aufheben und neben dem klassischen Gottesdienst die Online-Kirche etablieren.

Wie soll die virtuelle Seelsorge denn praktisch aussehen?
Kopjar
: Wir wollen keine Konkurrenz zum Sonntagsgottesdienst sein. Das fängt schon bei den Anfangszeiten an. Wenn jemand als Einsteiger Fragen zum christlichen Glauben hat, dann könnten wir uns beispielsweise dienstagabends regelmäßig verabreden und ein Programm anbieten, bei dem wir mit interessierten Menschen ins Gespräch kommen. Oder aber eine regelmäßige Mittagsandacht. Das Kloster Volkenroda hat bereits Interesse signalisiert, hier mit der Online-Kirche zu kooperieren.

Sind Kasualien, kirchliche Amtshandlungen, online möglich?
Kopjar:
Ich glaube nicht, dass eine Trauung im Internet tatsächlich sinnvoll ist. Auch Taufen und Beerdigungen haben wir erstmal nicht vor. Dafür ist die physische Welt tatsächlich prädestiniert. Aber bei großen Beerdigungen werden heute schon Übertragungen in andere Räume angeboten, um mehr Menschen zu erreichen. Das funktioniert über das Internet ganz gut. Die Oma, die nicht zur Hochzeit kommen kann, sitzt in Mexiko und kriegt den Livestream der Trauung. Damit ist sie quasi dabei und kann sich mit dem Paar freuen.

Im Umkehrschluss könnte man dann auch sagen: Da brauche ich nicht mehr in den Gottesdienst gehen, wenn ich ihn frei Haus auf den Monitor bekomme?
Kopjar:
Der Gottesdienstbesucher wird nach wie vor in die Kirche gehen. Aber es gibt Leute, die im Schichtdienst arbeiten oder Berufspendler, die wollen wir mit dem Angebot ansprechen. Wir versuchen, sie zu motivieren, wieder mit Kirche in Kontakt zu kommen. Der Online-Kirchenbesucher kommt vielleicht irgendwann auch in eine richtige Kirche.

Wie wollen Sie virtuell ein Gemeindeleben oder eine kirchliche Gemeinschaft organisieren?
Kopjar:
Wenn ich mit Menschen auf Facebook diskutiere, ist es schon häufiger passiert, dass aus einem einfachen Textgespräch eine geistliche Ebene entstanden ist. Da passiert plötzlich Seelsorge, da kommen Lebensthemen zur Sprache. Ja, da habe ich durchaus das Gefühl, Gott ist als unsichtbarer Dritter gegenwärtig. Gerade diese Verbindung, dass Menschen mit Gott im Austausch sind, und dass ein Gespräch mehr als eine oberflächliche Unterhaltung wird, das passiert, wo Menschen offen sind und sich auf diese Kommunikations­ebene einlassen.

In der Anonymität des Internets gedeihen Hass, Lügen und Falschmeldungen. Ist das der richtige Platz für Seelsorge?
Kopjar:
Das Internet emotionalisiert auf jeden Fall. Das ist gut und schlecht zugleich. Auf der einen Seite erlebe ich, dass junge Leute, die sich im Jugendkreis nie öffnen würden, auf einer Online-Plattform viel offener über ihren Glauben reden. Also da hat das Internet positive Verstärkereffekte. Auf der anderen Seite muss man natürlich damit leben, dass Menschen, die negative Gedanken haben, diese online sehr viel deutlicher und krasser äußern.
Dann ist aber nicht das Internet der Ort, wo die Gedanken entstehen, sondern sie sind bereits vorhanden. Ich sehe darin eine seelsorgerische Chance, dass Menschen die Zeitbombe, die im Kopf tickt, endlich mal rauslassen können. Klar, wo Grenzen, wo Gesetze überschritten werden, da muss man einschreiten. Auf anderen Ebenen reicht vielleicht das persönliche Gespräch, um Menschen Liebe und Annahme, die sie brauchen, zukommen zu lassen.

Wie sieht es mit Datenschutz, Seelsorge- und Beichtgeheimnis aus?
Kopjar:
Bei der Telefonseelsorge werden schon seit längerer Zeit gesicherte Kanäle für Online-Chats und E-Mail-Seelsorge angeboten. Wir wollen mit der Online-Kirche Datensicherheit gewährleisten und Systeme aufbauen, die sicher sind. Vollständige Sicherheit gibt es aber nicht. Das Internet ist wie ein Marktplatz. Wenn nun ein Seelsorger über den Marktplatz geht und angesprochen wird: Herr Pfarrer, ich brauche jetzt Ihren Rat, ich brauche jetzt Seelsorge, dann wird der Pfarrer wahrscheinlich sagen: Lassen Sie uns doch ins Pfarrhaus gehen. Wenn der Mensch aber sagt: Nein, ich brauch es hier und jetzt, wird der Pfarrer sehr wahrscheinlich sagen: Okay! Ist nicht optimal, aber wir machen das Beste draus und ich höre Ihnen zu. Genauso passiert es auch im Internet.

Gibt es auch eine feste Gemeinschaft, die die Internet-Kirche tragen wird?
Kopjar:
Natürlich braucht die Online-Kirche eine kommunitäre Gemeinschaft, Menschen, die intensiv und sichtbar ihren Glauben leben. Ähnlich wie im Kloster könnte es eine Kern-Gemeinschaft geben, die nicht an einem Ort, aber verbindlich für, in und mit der Internet-Gemeinde lebt. Wer sich dafür interessiert, kann sich jetzt schon bewerben.

Sind die klassischen Elemente eines Gottesdienstes auch online verfügbar?
Kopjar:
Jeder Gottesdienstbesucher der Online-Kirche kann sich die Elemente selber zusammenstellen. Musik, Predigt, Gebet, Segen, Andacht oder Austausch und Seelsorge. Die Nutzer werden in dem großen Potpourri jeweils das finden, was sie im Moment brauchen.

Einen wichtigen Punkt haben Sie noch vergessen: die Kollekte.
Kopjar:
Natürlich kostet die Online-Kirche auch Geld. Wir haben eine Startführung über die Erprobungsräume, aber darüber hinaus sind wir angewiesen auf Spenden und Sponsoren, Menschen, die uns unterstützen mit einmaligen und regelmäßigen Zahlungen. Die Angebote der Online-Kirche sind natürlich kostenfrei. Wir geben Gutes und wenn jemand für das Gute, das er bekommen hat, etwas zurückgeben möchte, ist das gerne möglich.

Wann soll es losgehen?
Kopjar:
Wir haben die Förderung der Erprobungsräume jetzt zugesagt bekommen. Wir wollen ab dem neuen Jahr Menschen einstellen, die die Idee vertiefen können. Wir haben allerdings jetzt für die Vorweihnachtszeit auch schon Aktionen, bei denen Menschen mit der Online-Kirche in Kontakt kommen können.

Kann man Mitglied der Online-Kirche werden?
Kopjar:
Prinzipiell ist die Online-Kirche für jeden da. Genauso wie man auch sonntags ohne Mitgliedsausweis in den Gottesdienst gehen darf, ist hier jeder Besucher willkommen.

Die Idee klingt sehr interessant und ein bisschen verrückt. Gibt es Vorbilder?
Kopjar:
Ja. Es gibt Online-Kirchen in den USA oder in Schottland. Unsere amerikanische Partnerkirche UCC hat da ein relativ großes Projekt auf den Weg gebracht. Die Erfahrungen sind positiv. Die virtuelle Erweiterung einer Kirchengemeinde kann gerade in ländlichen Gebieten das geistliche Leben ergänzen, sodass Menschen in entlegenen Gebieten am kirchlichen Leben teilnehmen können.

onlinekirche.ekmd.de

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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