Juden in Anhalt: Erinnerung an die erloschenen Gemeinden
Nur wenige Spuren blieben

Nienburg: Nur wenige Grabsteine erinnern in der Saalestadt noch daran, dass es auch hier eine jüdische Gemeinde gab. Der Friedhof außerhalb der Stadtmauer wurde 1938 geschändet.  | Foto: Foto: Torsten Lüders
  • Nienburg: Nur wenige Grabsteine erinnern in der Saalestadt noch daran, dass es auch hier eine jüdische Gemeinde gab. Der Friedhof außerhalb der Stadtmauer wurde 1938 geschändet.
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Relativ spät im Vergleich zu anderen anhaltischen Territorien erlaubte Fürst Friedrich August von Zerbst im Jahre 1774 die Ansiedlung von Juden in den Städten Zerbst und Coswig und auch in dem Dorf Großmühlingen. Dort gab es eine jüdische Gemeinde mit acht Familien, die sich meist vom Wollhandel ernährten. Sie kauften bei den Bauern die Schafwolle auf, ließen sie sortieren und erzielten beim Weiterverkauf gute Erlöse. So konnte die Gemeinde mit 60 Mitgliedern 1806 eine kleine Synagoge erbauen.
1893 waren es nur noch acht Mitglieder, denn die neu erbaute Eisenbahnlinie hatte den Woll- und auch den Kleinhandel von Dorf zu Dorf unwirtschaftlich gemacht. Auch die nahen Städte Magdeburg und Schönebeck mit ihrer Öffnung für jüdische Ansiedlungen waren eine Ursache für den Rückgang der Gemeindemitglieder. 1904 verließ die letzte Familie Großmühlingen. Die Synagoge wurde 1905 abgerissen.

Weit verstreute kleine Gemeinden
Um 1777 gab es in Wulfen acht jüdische Familien, was einer Gemeindegröße von 40 Personen entsprechen könnte. Die kleine Gemeinde beschäftigte einen Vorsänger, Schächter und Schulmeister, alles in einer Person. Im Hause Fuchs gab es einen Gebetsraum und ein Ritualbad. Eine Herberge bot Unterkunft für Durchreisende. Um 1900 lebten hier noch 15 Juden, 1929 befand sich die Gemeinde in Auflösung. Der Friedhof ist heute Gartenland.
In Nienburg an der Saale waren bereits im 17. Jahrhundert jüdische Kaufleute ansässig, die auf den Leipziger Messen handelten. Zum Gottesdienst ging man in die Synagoge in Bernburg. 1823 durften die Nienburger Juden am Schäferplatz eine eigene Synagoge erbauen, ein schlichtes Haus mit einem Betsaal und einem Raum für den Religionsunterricht. 1883 gab es nur noch drei jüdische Familien. Das nicht mehr genutzte Gebäude wurde 1888 verkauft und vom neuen Besitzer zu einem Wohnhaus umgebaut. Der Judenfriedhof lag seit 1840 außerhalb der Stadtmauer und wurde 1938 geschändet. Heute sind hier nur noch wenige Grabsteine erhalten.
In Gernrode gab es bereits 1718 eine kleine jüdische Gemeinde. Sie war nicht sehr vermögend, konnte aber 1799 eine Synagoge einrichten. Die Gemeinde hatte 1897 nur noch 13 Mitglieder, daher verkaufte man das Synagogengrundstück in der Tempelstraße und löste die Gemeinde 1901 auf. Das teilweise eingestürzte Gebäude wurde erst 2002 abgerissen.

Friedhof landwirtschaftlich genutzt
Laut der Zählung von 1753 unter Fürst Dietrich von Anhalt-Dessau, gab es in Radegast fünf Juden. Sie ernährten sich hauptsächlich von Handelsgeschäften, denn Radegast durfte jährlich vier Jahr- und Viehmärkte abhalten. Im Jahre 1848 waren neun Familien ansässig, darunter vier mit dem Familiennamen Rothschild. Noch 1867 gab es einen Lehrer, Kantor und Schächter, in einer Person. Der letzte in Radegast lebende Jude starb im Spätsommer 1891. Wo sich der Betsaal befand, ist nicht mehr bekannt. Vom Friedhof wurden in den 1950er Jahren alle Grabsteine entfernt und das Gelände landwirtschaftlich genutzt.
In Großalsleben waren mit Erlaubnis von Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau 1712 vier Judenfamilien ansässig. Sie durften hier ein Haus erwerben oder selbst erbauen, einen Friedhof benutzen und eine Synagoge errichten. 1775 waren es 26 Familien, die auch in den umliegenden Dörfern lebten und sich fast alle von Handelsgeschäften ernährten. Noch 14 jüdische Familien lebten hier nach 1848. Die Kinder besuchten die christliche Ortsschule, nur der Religionsunterricht wurde ihnen gesondert erteilt. Im Jahr 1890 verzog der letzte Jude nach Halberstadt. Heute erinnert nur noch ein Metallzaun um den ehemaligen Friedhof an der Straße nach Alikendorf daran, dass es hier einst eine jüdische Gemeinde gab.
Dietrich Bungeroth

Buchvorstellung: Die Kirchengeschichtliche Kammer Anhalts hat ein Buch zur Geschichte der jüdischen Gemeinden in Anhalt herausgegeben. Das Projekt wurde im September abgeschlossen. Öffentlich vorgestellt wird das Buch am 30. Oktober um 14 Uhr in der Georgenkirche in Dessau-Roßlau.

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Online-Redaktion

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