Referent: Peter Bürger, Theologe und Publizist
Thema: Von den russischen Romanen „Krieg und Frieden“ oder „Anna Karenina“ haben die meisten Leute schon einmal gehört. Kaum bekannt ist hingegen der späte Tolstoi, der sich in den letzten beiden Lebensjahrzehnten unermüdlich gegen soziales Unrecht, Todesstrafe und Krieg engagiert hat. Die Friedensbotschaft des großen Russen wurde auf der ganzen Welt gehört, bewegte viele tausende Menschen zur Verweigerung des Militärdienstes und inspirierte nicht zuletzt Mahatma Gandhi auf dem Weg der Gewaltfreiheit. Seit seinem 50. Lebensjahr folgte Leo N. Tolstoi einem Christentum der Bergpredigt, das den Kriegsapparaten konsequent jegliche Mitarbeit versagt. Auf Böses darf man nicht mit Gewalt antworten. Nur eine Vernunft der Liebe kann uns vor dem Abgrund bewahren. Staatstragende Kirchenleute und sogenannten Realpolitiker wollten einen solchen Weg vor zwei Weltkriegen mit 70 Millionen Toten als Träumerei abtun. Thomas Mann schrieb jedoch 1928: „Während der Krieg tobte, habe ich oft gedacht, dass er [d.h. der Krieg] es nicht gewagt hätte auszubrechen, wenn im Jahre vierzehn die scharfen, durchdringenden grauen Augen des Alten von Jasnaja Poljana noch offen gewesen wären.“
Autor:Rainer Schmid |