Alle Reformationsjubiläen sind von aktuellen Interessen geprägt

Exponat in der Ausstellung »Luther und die Deutschen« in Eisenach: Zerbster Prunkbibel, 1541 | Foto: Stadt Zerbst

Reformationsgedenken seit 1617 bis heute: Jede Epoche prägt unterschiedliche Geschichtsbilder

Von Diana Steinbauer

Das Gedenken an Luther und die Reformation ist allgegenwärtig. Auf Plakaten, bei Festveranstaltungen, im Souvenirshop und sogar in der Spirituosenabteilung. Doch das Feiern und Gedenken und vielleicht sogar die Werbemaschinerie zu diesem Fest sind keine neue Erscheinung unserer Tage.
Seit 1617, dem ersten großen Jubiläum, der 100-Jahr-Feier, hat es Reformationsgedenken in allen folgenden Epochen gegeben. Sie wurden Teil einer ganz speziellen »deutschen« Erinnerungskultur. Denn mit dem Reformationsgedenken wurden auch immer unterschiedliche Geschichtsbilder tradiert – mit ganz unterschiedlichen Motiven.
»Das Reformationsgedenken bezieht sich auf die Vergangenheit – ohne Ereignisse in der Vergangenheit hätten wir diese Erinnerung gar nicht«, erklärte die Historikerin Christiane Kuller bei der Ringvorlesung der Erfurter Hochschulen zu »Reformation und Gegenwart«. In ihrer Vorlesung mit dem Kirchenhistoriker Jörg Seiler zeigte sie auf, wie unterschiedlich die Erinnerungsetappen des Reformationsgedenkens in Deutschland in der Vergangenheit waren.
Es würden von vergangenen Ereignissen immer nur bestimmte Teile wahrgenommen. Das, was wahrgenommen kritisch rekonstruiert werde, sei Ausdruck der jeweiligen Gegenwart.«
Die Gedenkkultur rund um die Reformation setzte bereits zu Luthers Lebzeiten ein. Der Reformator und seine Mitstreiter versuchten, ein ganz bestimmtes Bild von Luther und der Reformation zu vermitteln und gegen alternative Modelle abzugrenzen. Auch innerhalb des Protestantischen gebe es verschiedene Zugänge zu Luther und zur Reformation – auch Streitigkeiten.
»Luther grenzt sich von anderen Reformatoren heftig ab und die Konstruktion eines bestimmten Bildes, dient dem Zweck, das richtige Bild durchsetzbar zu machen«, so der Kirchenhistoriker Jörg Seiler. Die Erinnerung an die Reformation seien immer mit einer bestimmten Zielrichtung verbunden worden.
Stand die 100-Jahr-Feier 1617 im Zeichen der Demonstration von Macht, Einheit und Stärke und in deutlicher Abgrenzung zur katholischen Kirche, so waren die Feiern im Jahre 1717 eher nüchtern. Man betrachtete die Reformation als noch nicht abgeschlossen. Die Gläubigen sollten durch das Reformationsjubiläum aktiviert werden, die Reformation voran zu treiben und zum Abschluss zu bringen. Die Aufklärung wurde zum Wendepunkt – auch in der Erinnerungskultur. »Die Reformation wurde nun als revolutionäres Ereignis betrachtet und mit den Schlüsselbegriffenen von Vernunft und Freiheit verbunden«, so die Historikerin Kuller. Das 18. Jahrhundert betrachtete dann die Reformation als europäisches Ereignis.
Die Feiern im Jahr 1817 standen unter dem Eindruck gesellschaftsverändernder Ereignisse. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation hatte aufgehört zu existieren. Die Napoleonische Herrschaft hatte Europa verändert und die deutschen Lande zunächst an den Rand einer Katastrophe geführt, bis Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig triumphal besiegt worden war. Seither galt die Reformation nicht mehr nur als kirchliches und gesellschaftliches Ereignis, sondern als Kern deutscher Identität.
Höhepunkt in der Symbiose aus Reich und Reformation bildete die 400-Jahr-Feier 1917. »Viele Generationen haben die Reformation jeweils neu erfunden«, glaubt daher die Historikerin Kuller.
Im 19. und 20. Jahrhundert dominierte in der Erinnerung der »deutsche Luther«. Eine nationale Aufladung mit dunklen Folgen. Auch wenn der »deutsche Luther« heute keinesfalls mehr betont wird, das derzeitige Logo zum Reformationsjubiläum »Am Anfang war das Wort. Luther 2017 – 500 Jahre Reformation« zeigt den schwarzgewandeten Reformator vor rotem Hintergrund und goldenem Schriftzug. Zufall oder Absicht?
»Ich würde sagen, dass der ›deutsche Luther‹ wie er im 19. Jahrhundert ganz stark stilisiert worden ist, uns heute extrem fremd geworden ist. Das, was Luther und die Deutschen verbindet, kann man historisch betrachten«, so Christiane Kuller. Wer ist Luther, wenn er kein Nationalheld, nicht der Vordenker der deutschen Identität ist? Was verbindet ihn dann doch mit dem Land, aus dem er kommt und in dem er gewirkt hat und in dem seine Reformation und seine Gedanken die politische und gesellschaftliche Landschaft doch auch geprägt haben? Fragen wie diesen wird sich auch die nationale Sonderausstellung »Luther und die Deutschen« auf der Wartburg annehmen.
Alle Reformationsjubiläen – auch dieses – sind von Gegenwartsinteressen geprägt. Die Evangelische Kirche in Deutschland hat in der Lutherdekade Themen wie Toleranz, und Freiheit angesetzt, um den Bogen zu spannen zwischen der Gegenwart und den Ereignissen und Errungenschaften der Vergangenheit. Doch Martin Luther hatte unbestritten einen anderen Begriff von Freiheit und Toleranz. Er sah in frühneuzeitlichen Dimensionen gesellschaftlich völlig anderen Gegebenheiten. Was die Reformation für das Selbstverständnis des evangelischen Christen heute bedeutet, ist nicht vollständig geklärt. Wie kann Gedenken nachhaltig wirksam sein kann, in Mitteldeutschland, wo ein Großteil der Menschen der Kirche fernsteht? Wie den Menschen Luther als einen von uns vermitteln, der hier gelebt und gewirkt hat? Diese und andere Fragen gilt es in der verbleibenden Zeit des großen Festjahres noch zu klären. Eines aber bleibt bei Rückschau, Vergegenwärtigung und Ausblick in die Zukunft gewiss. Luther und die Identitätsbildung scheinen bis heute eng verbunden zu sein.

Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Süd

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