Ausstellung
Smartphone und traditionelles „Gebende“

 Sophie Potente, Kuratorin der Aussstellung | Foto: Evangelischen Akademie Thüringen/Dr. Sabine Zubarik
  • Sophie Potente, Kuratorin der Aussstellung
  • Foto: Evangelischen Akademie Thüringen/Dr. Sabine Zubarik
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Die Evangelische Akademie Thüringen zeigt derzeit im Zinzendorfhaus Neudietendorf eine Ausstellung über die Glaubensgemeinschaft der Hutterer. Präsentiert werden Fotografien des kanadischen Journalisten Tim Smith, der seit 15 Jahren Täufergemeinschaften dokumentiert.

Von Christoph Ernst

Die Ausbreitung der Reformation in der Mitte der 1520er Jahre war zugleich der Beginn der Auseinandersetzungen um die reine evangelische Lehre. Um den charismatischen Jakob Hutter (1500-1536) sammelte sich damals in Südtirol eine fundamentalistisch geprägte Nebenströmung der Reformation. Hutter gründete nach urchristlichem Vorbild kleine Gemeinden im Pustertal, in denen gemeinschaftliches Eigentum und vor allem die Erwachsenentaufe kennzeichnend waren.

Hutter und seine Anhänger, die „Hutterer“, gehörten zur sog. „Täuferbewegung“, die im 16. Jahrhundert vielerorts sowohl von Katholiken als auch von Evangelischen grausam verfolgt, vertrieben und vernichtet wurde. So geriet auch die Geschichte der Hutterer zur generationsübergreifenden Migrationsgeschichte, die die Anhänger des reformatorischen Freigeistes zuerst nach Mähren und nach 1535 in die angrenzenden Länder verstreute.

Hutter selbst wurde 1536 in Innsbruck mitten in der Stadt auf dem Scheiterhaufen hingerichtet. Seine treuen Anhänger wanderten später in die religiöse Freiheit der Neuen Welt aus und konnten in den USA ihre Traditionen und Sprache lange Zeit unbehelligt pflegen. Da sie im ersten Weltkrieg keinen Kriegsdienst leisten wollten, wurden sie in den USA erneut diskriminiert und siedelten erneut um: nach Kanada, wo die meisten der heute etwa 45.000 Hutterer leben.

Neben der intensiv vorbereiteten Erwachsenentaufe und der strengen familiären Traditionspflege ist das gemeinschaftliche Eigentum im Sinne von Apostelgeschichte 2,45 (Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte) bis heute ein Hauptmerkmal in den jeweiligen Kolonien.

Die Geschichte der Hutterer hat auffällige Parallelen zur Geschichte der Herrnhuter, die im frühen 18. Jahrhundert als böhmische Glaubensflüchtlinge in die Oberlausitz kamen und von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf durch die Neuansiedlung „unter des Herrn Hut“ (Herrnhut) bleibenden Schutz gewannen. So ist es sehr passend, dass das Zinzendorfhaus in Neudietendorf nun bis zum 15. Dezember die eindrucksvolle und lebendige Fotosammlung „Die Hutterer – Alter Glaube, neue Welt“ beherbergt.

Die bereits in Wittenberg aus Anlass des Gedenkens an 500 Jahre Täuferbewegung gezeigte Ausstellung präsentiert, verteilt über das ganze Zinzendorfhaus, Bilder des preisgekrönten kanadischen Fotografen Tim Smith. Der Künstler, der in der Prärie-Provinz Manitoba im Herzen Kanadas lebt, hat sich viele Jahre lang immer wieder mit mehreren der über 400 Hutterer-Gemeinschaften in Kanada beschäftigt und ist heute mit einigen Familien gut befreundet.

Die Ausstellung, kuratiert von Sophie Potente, zeigt die lebendigen Dualismen im Alltag der Hutterer heute: Frauen tragen schwarze Kopfhauben (das sog. „Gebende“) und altertümliche Arbeitskleidung wie auf Gemälden aus dem 19. Jahrhundert, während sie auf dem Anhänger von modernen Landmaschinen auf dem Smartphone tippen. Traditionelle Brauttrachten und familiäre Hochzeitsvorbereitungen sind ebenso zu sehen wie Kinder, die fröhlich über riesige Strohballen hüpfen, während sie wie in alten Märchenfilmen gekleidet sind.

Die Hutterer leben bis heute vor allem von der Landwirtschaft und sind allen gemeinschaftstiftenden Traditionen zum Trotz (anders als z.B. die Gruppe der Amish People in Amerika) aufgeschlossen für Entwicklungen der Gegenwart. Daneben zeigt die Ausstellung aber auch heutige spartanisch anmutende Schreibpult- und Schiefertafel-Klassenzimmer, in denen eine deutsche Sprache unterrichtet wird, die wir in Mitteleuropa nicht mehr verstehen.

Zur großen Freude des Publikums war der Fotokünstler Tim Smith zur Vernissage per Video live aus Manitoba zugeschaltet. Auf die Frage aus dem Publikum, was die jahrelange Beschäftigung mit den Hutterern in ihm bewegt oder verändert habe, antwortete er: „In unserer heutigen Welt, wo die Menschen im Westen immer vereinzelter leben und der Individualismus die herrschende Lebensphilosophie ist, bieten die Hutterer mit ihrem an Gemeinschaft und Gemeinsinn orientierten Lebensmodell einen bedenkenswerten und interessanten Gegenentwurf.“

So ist es kein Wunder, dass die Zahl der Hutterer bis heute nicht abgenommen hat und, so die Kuratorin Sophie Potente, man sich um ihre Zukunft eher keine Sorgen zu machen braucht.

Tipp

Die Hutterer – Alter Glaube, neue Welt
Fotografien von Tim Smith
Tagungs- und Begegnungsstätte Zinzendorfhaus
Bis 15. Dezember 2025.

Autor:

Christoph Ernst

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