Auf Distanz zur Arbeit

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In Zeiten, in denen uns die Arbeit so nah auf den Leib rückt, in der wir sie überall mit hinnehmen können, braucht es deutliche Zeichen der Distanz zu unserer Arbeit«, sagte der Theologe und Sozialwissenschaftler Gunter Schendel kürzlich im Rahmen der Themenwoche »Arbeitswelt« der Weltausstellung Reformation.

Von Mirjam Petermann

Schendel ist Mitherausgeber des Buches »Beruf und Berufung. Wie aktuell ist das reformatorische Berufsverständnis«. Martin Luther kannte zu seiner Zeit nur das Wort »Beruf«, verwendete es aber synonym mit der heutigen Begrifflichkeit »Berufung«. Einen »Beruf« hatten nach damaligem Verständnis nur Priester, Mönche und Nonnen. Alle anderen hatten »Arbeit«. Die wurde nach damaligem Verständnis unweigerlich mit Plage, Anstrengung und Strafe in Verbindung gebracht. Der »Beruf« dagegen ging mit Armut, Gehorsam und Keuschheit einher. Diese selbstauferlegten Pflichten waren für Luther jedoch ein Ausweichen der eigentlichen Aufgabe eines jeden Christenmenschen; nämlich dort zu wirken, wo er bereits ist, im Dienst am Nächsten. Für ihn war »Arbeit« kein Fluch, sondern ein Segen, ein Akt der Fürsorge und Nächstenliebe.
Damit ist Luther nah dran an den Fragestellungen, die im Zuge des postmaterialistischen Wertewandels bezüglich der Berufswahl wieder eine Rolle spielen, so Schendel. »Es geht nicht mehr nur ums Geld«, sagte er. Vielmehr sind eine sinnvolle Tätigkeit, das Einbringen der eigenen Kompetenzen und der Wunsch nach Weltgestaltung entscheidend. Das entspräche ganz dem biblischen Verständnis, die Erde zu bebauen und zu bewahren, sagte Schendel weiter. »Wenn Geschäftsleute heute ins Berufsleben starten, mit dem Ziel, die Welt zu verändern, entspricht das der Weltzuwendung Luthers«, konstatierte er. Hinzu kommen beim Reformator immer die Verantwortung vor dem Nächsten und vor Gott.
Dass dieser Idealismus auch seine Grenzen kennt und zur Gefahr werden kann, auch darauf ging der Autor, Theologe und Dozent in seinen Ausführungen ein. Die größer werdenden Freiräume bergen die Gefahr der Selbstausbeutung und Selbstüberforderung. An dieser Stelle setze Luthers Rechtfertigungslehre an und relativiere diese Sinnorientierung: »Den Sinn meiner Arbeit kann ich nicht selber schaffen, er wird mir geschenkt«, so Schendel.
Diese Ansicht betreffe allerdings nicht nur die berufliche Arbeit. Denn wie verhält es sich etwa mit den Langzeitarbeitslosen, die ihre Sinninseln im Ehrenamt oder der Nachbarschaftshilfe gefunden haben? Luther kannte gar keine Unterscheidung zwischen Berufs- und beispielsweise Familienarbeit. Für ihn war alles Tun im Glauben ein Dienst und weil es im Glauben geschieht, ist es in sich wertvoll. Das betreffe auch politisches, zivilgesellschaftliches und soziales Engagement, so Schendel. Es sei Aufgabe der Kirche, sich dafür einzusetzen, dass auch diese Arbeit geschützt würde.

Anika Füser, Gunther Schendel, Jürgen Schönwitz (Hrsg.): Beruf und Berufung.Wie aktuell ist das reformatorische Berufsverständnis? Evangelische Verlagsanstalt, 288 S., ISBN 978-3-374-04887-8, 19 Euro
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Autor:

Kirchenzeitungsredaktion EKM Nord

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