von und gegen Torheit
ein Pamphlet

Als im 16. Jahrhundert zwischen Lutherischer und Schweizer Reformation um das rechte Verständnis des Altarsakraments hart gestritten wurde, soll Martin Luther am Tisch gesessen und mit Kreide in großen Buchstaben das lateinische Wort EST ("ist") auf den Tisch geschrieben haben. Er wollte damit ausdrücken, dass das Brot der Leib des Herrn wirklich ist, wenn man es ißt - und nicht nur das eine das andere irgendwie bedeutet.

Wie dem auch sei, dieser Tage schauen manche verwundert zu den Türmen der Marktkirche in Halle an der Saale auf. In Halle gibt es neben Kirchen und Theater außerdem eine ehrwürdige Theologische Fakultät. Leute wie August Hermann Francke, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher und Friedrich Loofs haben dort gelehrt und ihre Spuren in die Welt des Geistes eingedrückt. Auch besonders zu der Frage: Was bedeutet IST und was ist nur BEDEUTUNG. Nun kam vor geraumer Zeit zu den diesbezüglichen Erarbeitungen kluger Köpfe universitären Denkens ein Plakat aus dem Dunstkreis jetziger Zeitgenossenschaft dazu: „Impfen ist Nächstenliebe” steht an den Türmen der Marktkirche zu lesen. Was für ein sonderbares Wort. Aus der Winterkälte schlafft es überlebensgroß als Banner zu uns herab. Dürfen wir diese Fahne vorsichtig lüpfen? Niemand hat die Absicht, denjenigen zu nahe zu treten, welchen eine nicht näher bekannte Muse den Passus "Impfender Nächstenliebe" diktiert haben mag. Darf man aber argwöhnen, dass es der Heilige Geist mit großer Wahrscheinlichkeit nicht gewesen ist, der dieses Logion inspirierte? Um dabei die nicht zu düpieren, die sich solcher Botschaft anzuschließen hatten, sei das Problem der Inspiration hier nicht problematisiert ... Auf jeden Fall sollten wir uns fragen, ob das in bedenkliche Nähe zu sinnfreien tautologischen Nominalsätzen geratene Wort vom „Impfen als Nächstenliebe” wenigstens so etwas wie Schein-Wahrheit für sich beanspruchen kann. Die Antwort ist ein verhaltenes "Jein". Denn der Satz sollte wohl gut gemeint sein, oder sogar witzig/spritzig - theologisch gesehen werden die drei Vokabeln in dieser Reihenfolge verbunden sich jedoch nach längerer Betrachtung als minderwertig herausstellen. Sätze, in denen das Subjekt zugleich Objekt sein muss, bzw. das Hilfsverb SEIN als Kopula irgendwelche Prädikatsnomen - hier sogar die Nächstenliebe - balancieren müssen, sind sehr schwer und schwierig. Man sollte seine Kirchtürme aus statischen Gründen damit nicht übermäßig belasten. Am Anfang aber etwas zur Beruhigung: Nächstenliebe ist was Gutes! Keiner will, dass sie aus dem Programm der Christenheit und ihrer Kirchen gestrichen wird. Jesus hat gesagt - man solle seinen Nächsten lieben, wie man sich selber liebt. Hinter diese Kurzformel der Goldenen Regel gibt es tatsächlich kein Zurück …

Könnte man den Satz auch umkehren und sagen: „Nächstenliebe ist Impfen?” Nein, denn Nächstenliebe ist viel mehr als Impfen. Und deshalb ist Impfen weniger als Nächstenliebe. Nach Lehre aller ökumenischen Synoden und Aussage der späteren Bekenntnisschriften gilt zwar, dass Gott Mensch geworden ist - so lehrt es die Weihnachtsbotschaft. Aber dadurch ist der Mensch noch lange nicht Gott geworden. Wenn auch die byzantinischen Theologien diesen Gedanken kräftig feiern und damit seine Richtigkeit sehr nahelegen - so gibt es hier doch keine Identität in beide Richtungen. Vorsicht also mit Sätzen der Gestalt X = Y. Sie beeindrucken zwar erst einmal, aber letztlich nur diejenigen, welche sich gern und leicht verwirren lassen. Luther behauptete, dass sich Konzilien irren könnten. Dem ist zuzustimmen. Denn diese Freiheit hat die November-Synode nördlich des Thüringer Waldes offenbar auch für unsere Zeit und nun auch besonders für sich reklamieren und einmal neu ausprobieren  wollen: „Impfen ist Nächstenliebe!“ Dass das Covid-Impfen ist nicht immer ganz ungefährlich ist, wie inzwischen fast jeder weiß und die Spatzen es laut von den Dächern rufen, war vielleicht noch nicht zu allen gedrungen? Zudem für weite Strecken recht unwirksam ist(wie sich immer mehr heraus zu stellen scheint). Und hätte u.U. auch fatale Folgen (hoffentlich nicht!!!), die dann in keinem Verhältnis mehr zu dem gegenwärtig theoretisch noch angenommenen Nutzen stehen werden. Der o.g. Satz ist dann auf ein Banner gebracht und der gotischen Kirche am Markt der Saline-Stadt appliziert worden.  Er ist mindestens umstritten, bzw. sogar hochproblematisch - und wir wollen hoffen, dass seine öffentliche Verbreitung jenem Zwangsgefälle geschuldet war, welches sich regelmäßig einstellt, wenn in Gruppen angeblich notwendige Mehrheitsentscheidungen unter Zeitdruck vorgenommen werden.

Wer war die Mutter der Impf-Parole (oder gibt es sogar einen Vater?)  Sind sich die Sorgeberechtigten dieses verbalen Bastards vielleicht nicht recht darüber im Klaren gewesen, welche Geister da zu Gevattern bestellt wurden, als das "I-Wort" und das "N-Wort" (Impfen & Nächstenliebe) mit Hilfe der zwischen ihnen beiden Identität schaffenden Kopula "IST", axiomatisch kurzerhand miteinander verschmolzen, als missliche Chimäre aus dem fatalen Taufbecken auftauchten?

Aber - es hätte leicht noch viel schlimmer kommen können. Dass eine Steigerung des leichtsinnigen Spruchs prinzipiell möglich gewesen wäre, würde etwa ein Verdikt aus dem Führerhäuschen der EKD deutlich machen, wenn von dort beispielsweise verlautbarte (alles Konjunktive und Irrealis!), dass sogar die allgemein nunmehr behördlich angedrohte Impfpflicht als Nächstenliebe interpretiert werden dürfe bzw. sogar müsse, weil nur noch ein solch kaiserlicher Ukas die Spaltung der Gesellschaft beendeten könne. Wie ließ Wagner singen? "Wahn! Wahn! Überall Wahn!  / Wohin ich forschend blick'  / in Stadt- und Weltchronik,  / den Grund mir aufzufinden,  / warum gar bis aufs Blut  / die Leut' sich quälen und schinden / in unnütz toller Wut" (Hans Sachs in Die Meistersinger). 

Es gab einmal eine Zeit (8.Jahrhundert), zu der man in den Klöstern das Latein nicht mehr so recht beherrschte. In der Rückschau sprechen die Historiker von barbarisch-vulgärem Mönchs- bzw. Küchenlatein. Müssten wir im 21. Jahrhundert nicht gerade in kirchlichen Verlautbarungen (gerade, wenn es  Plakate sind) versuchen, weiterhin präzise zu denken? Angesichts der Vielschichtigkeit des gentechnikbasierten Impfthemas wäre das unbedingt notwendig. Die forschen Kampaigner*innen sollten nicht die Oberhand über die wirklich von allen! Seiten informierten Fachleute gewinnen. Lassen Sie uns doch einigermaßen noch beieinander bleiben, indem wir alle nicht richtig zu Ende gedachte Verschärfungen in Wort und Bild weise vermeiden und den guten Ruf der Kirche und ihre ehrwürdige Nach-Denk-Tradition nicht leichtfertig noch mehr aufs Spiel setzen, als das ohnehin schon leider oft von höchster Stelle aus geschieht. Vorsatz für das noch junge Jahr, das uns in die Wiege gelegt ward: Keine unnötigen Gründe für’s Fremdschämen mehr beisteuern.

Und nun - "Kann denn Liebe Sünde sein?" Nein. Doch Impfen ist weder Nächstenliebe, noch bedeutet sie Nächstenliebe. Qualifizierte Nächstenliebe schlösse nämlich mit ein, die Augen vor der fachlich unterschiedlichen Interpretation der Corona-Impf-Fakten nicht zu verschließen, was mit einem großen Plakat, das wie ein Brett vor dem Turm Platz gegriffen hat, geschieht. Weil sich bisher offenbar keiner gemeldet hat, der den auf die Fahnen aufgedruckten gutgemeinten theologischen Dilettantismus benennen wollte (außer der fromme Peter Hahne - kürzlich bei INDUBIO, früher beim ZDF) habe ich hier mal selber in’s Feuer gegriffen - auf die Schnelle und in Form eines die ganze Sache übertreibenden Pamphlets. Aber stellvertretend für andere, die ihre Köpfe schütteln, wenn sie Impf-Transparente von Kirchtürmen hangen sehen. Ich will ein wenig dazu ermuntern, den jesuanischen Begriff der Nächstenliebe von dort wegzuholen, wo sein guter Sinn sich mit dem Unsinn täglicher Medienmainstreamfakenews qualitätslos vermischt. Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte, dass diese Parole - welche übrigens nicht nur mich an das alte rote DDR-Fahnenmonument am Hansering erinnert - die ansonsten weit blickende Brüder und Schwestern Entscheidungsträger*Innen einen Moment hat kurzsichtig werden lassen. Vielleicht hat der Weltgeist sie gelenkt, damit  Theologiestudenten der achtziger Jahre dieses Jahrhunderts interessante Arbeitsthemen zur Verfügung zu stellen? Thema - Warum die epimethische Reue der kirchlichen Corona-Schuldbekenntnisse erst nach 2034 erfolgen durfte. War keiner da, der den frommen Platzpatronenschnellschuss zu verhindern gewusst hätte?

Ich jedenfalls wanderte kurz vor Weihnachten am Kirchturm St. Marien vorbei und wurde ungewollt Zeuge eines kurzen Wortwechsels zwischen weihnachtseinkaufenden echten Hallensern. Indem sie des an der Halleschen Marktkirche festgezurrten Transparents ansichtig wurden, fragte ein Passant seine Begleiterin: „Ob die jetzt schon wieder die Waffen segnen?” Ich habe nicht Mut genug besessen, den Wanderern meine erst jetzt und hier vorgetragenen Gedanken bereits dort an Ort und Stelle auseinanderzusetzen. Vielleicht lesen die beiden meinen kleinen Beitrag ja zufällig irgendwann. So habe ich zwar also nicht - wie Petrus seinerzeit - den Herrn verleugnet, aber bin irgendwie doch von der fremden Fahne geflohen, welche im Winde mir kalt hinterhergeklirrt hat.

Versuch eines versöhnlichen Fazits: Die Kirche hat andere Aufgaben, als sich mit sonderbare simplifizierenden Sprüchen in die komplexen Zusammenhänge zwischen Immunologie, Virologie, Epidemiologie, Mikrobiologie und Pathophysiologie zu wagen. Sie soll den Menschen wirklich helfen. Das tut sie nicht, wenn sie das hochriskante Hin- und-Her mit Vakzinen, die sich immer mehr als problematisch herausstellen, quasisakramental mit biblizierendem Spruchgut aufwertet. Gut ist das Gegenteil von Gut-Gemeint. Schalten wir einen Gang runter - denn Mitleid mit denen, die ihre Verantwortung ernst zu nehmen versuchen, das ist wohl nichts Schlechtes. Und Mitleid mit denen, die Verantwortung über Nacht übertragen bekommen haben, das ist auch nicht schlecht. Sogar Mitleid mit denen, die die Verantwortung aus diesem oder jenem Grunde an sich gerissen haben mögen, ist möglich. Es gibt ja viele verschiedene Arten von Mitleid. Mitleid selber könnte also zwar notfalls noch als Vorstufe auf der Treppe zur Nächstenliebe verstanden werden, genmanipulatorische Großexperimente allerdings sind etwas anderes!

Autor:

Matthias Schollmeyer

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