Die Grundlage der deutschen Schriftsprache
Ein Buch verändert die Welt

Weltereignis: Vor 500 Jahren begann Martin Luther mit der Bibelübersetzung auf der Wartburg bei Eisenach. | Foto: Paul-Philipp Braun
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Von der Weihnachtspostille zum Septembertestament – Vor 500 Jahren begann Martin Luther mit der Übersetzung der Bibel.

Von Jochen Birkenmeier

Als der Schriftsteller Senthuran Varatharajah jüngst von der Wartburg zurückkehrte, wo er sich in den Fußstapfen Martin Luthers auf eine mehrwöchige Zwiesprache mit der Lutherbibel eingelassen hatte, staunte er rückblickend über die „Masse an Himmel“, die ihn auf der Burg umgeben und „jedes Mal sprachlos gemacht“ habe. Auch Luther wähnte sich 1521, hoch droben auf der Wartburg, dem Himmel nah und entrückt ins „Reich der Vögel“ – sprachlos war der Reformator allerdings nie. Im Gegenteil: Nach eigenem Bekunden schrieb er seit seiner Ankunft „ohne Unterbrechung“, wenngleich unter enormen körperlichen und seelischen Belastungen, die er als Anfechtungen des Teufels verstand.

Das sicherlich bedeutendste Ergebnis dieser schwierigen, aber außerordentlich schöpferischen Zeit ist die Übersetzung des Neuen Testaments. Luther begann sie nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf Bitten seiner Wittenberger Weggefährten – insbesondere Philipp Melanchthons –, die er Anfang Dezember 1521 heimlich besucht hatte. Ihrem Drängen kam Luther nach seiner Rückkehr auf die Wartburg schließlich am 18. Dezember nach: Von diesem Tage sind zwei Briefe überliefert – einer an Johannes Lang in Erfurt, in dem er den Beginn der Bibelübersetzung ankündigt, und ein zweiter an Wenzeslaus Link in Nürnberg, in dem er berichtet, dass er mit der Arbeit schon begonnen habe. Sie dokumentieren den Startpunkt eines Projekts, das Luther sein ganzes Leben lang begleiten sollte und das er als Kernanliegen der Reformation betrachtete: „Wenn doch jede Stadt ihren eigenen Dolmetscher hätte und dies Buch allein in aller Zunge, Hand, Augen, Ohren und Herzen wäre!“

Das Plakat zum Jubiläum

Die Wittenberger rannten also offene Türen ein: In seiner „Weihnachtspostille“ hatte Luther bereits verkündet, dass Gläubige auf die besten Predigten und theologischen Auslegungen verzichten könnten, wenn sie in der Lage wären, die Heilige Schrift selbst zu lesen. Das Psalmwort „Könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet“ (Ps 85,9) verstand Luther daher als Auftrag, die Bibel auch jenen zugänglich zu machen, die Latein, Griechisch und Hebräisch nicht verstanden – damit sie Gottes Wort „selbst fassen, schmecken und dabei bleiben.“

Stichtag 18. Dezember 1521

Das Übersetzen war allerdings schwieriger als angenommen: Am 14. Januar 1522 bekannte Luther in einem Brief an Nikolaus von Amsdorf, dass er sich „eine Last aufgeladen habe, die über meine Kräfte geht“. Die Übersetzung des Alten Testaments stellte er deshalb zurück und schlug vor, die Übertragung der gesamten Bibel als Gemeinschaftsprojekt anzugehen: Sie sei „ein großes Werk und wert, dass wir alle daran arbeiten, weil es ein Werk für die Öffentlichkeit ist und dem Heil aller dienen soll.“ Das Neue Testament aber bewältigte er selbst, mit großer Disziplin und atemberaubendem Tempo, innerhalb von nur 73 Arbeitstagen.

Nach seinem Abschied von der Wartburg am 1. März 1522 überarbeitete Luther sein Manuskript mit Hilfe Philipp Melanchthons und Georg Spalatins. Es erschien im Herbst desselben Jahres als „Septembertestament“ und kurz darauf, wegen des großen Erfolgs, in verbesserter Auflage als „Dezembertestament“. Die Übersetzung des Alten Testaments nahm jedoch mehrere Jahre in Anspruch: Luther hatte auf der Wartburg schon erfahren müssen, „was Dolmetschen heißt und warum es bisher niemand versucht hat, der seinen Namen dazu hergegeben hätte“. Die vollständige Bibel, die nach mühevoller Arbeit 1534 vorlag, trug schließlich seinen Namen im Titel – als selbstbewusstes Markenzeichen, das für die Qualität der Übersetzung stand. Sie war aber, wie er vorgeschlagen hatte, ein Gemeinschaftswerk, das damit nicht nur eine „Lutherbibel“, sondern auch eine „Reformatorenbibel“ war, zu der viele beitrugen. Die Reihe der Mitwirkenden reichte von den großen Namen der reformatorischen Bewegung bis zum örtlichen Fleischer, der Luther half, die Teile eines geschlachteten Tieres fachgerecht zu benennen.

Luthers Wunsch von 1522, „das Ganze von Anfang an“ zu übertragen, „damit es eine Übersetzung würde, die wert ist, von den Christen gelesen zu werden“, hatte sich spätestens mit dem großen Erfolg der Gesamtausgabe erfüllt. Das größte Lob war aber wohl, dass selbst Luthers erbittertste Gegner sich der Qualität seiner Übertragung nicht entziehen konnten. So kopierte Hieronymus Emser Luthers Neues Testament, um es mit geringen Änderungen als eigene, katholische Übersetzung auszugeben. Dem Streit zwischen Emser und dem Reformator über Luthers angebliche Verfälschung des Bibeltexts verdanken wir auch eine der wirkmächtigsten Schriften zur Kunst des Übersetzens, den „Sendbrief vom Dolmetschen“: Luther verteidigte darin seine Entscheidung, dem Sinn der Vorlage und dem Klang der Muttersprache mehr Raum zu geben als der wortwörtlichen Übertragung. Um die Bibel „klar und gewaltiglich“ zu Wort kommen zu lassen, war er sich dabei nicht zu schade, „die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt“ zu fragen und ihnen „auf das Maul zu sehen, wie sie reden“ – und schuf doch zugleich eine Sprache, deren poetische Kraft den biblischen Vorlagen ebenso gerecht wurde wie den Anforderungen eines feierlichen Gottesdiensts.

Die Wirkung seiner Bibelübersetzung war enorm: Sie schuf nicht nur einen neuen Zugang zur Heiligen Schrift und die Grundlage einer gemeinsamen deutschen Schriftsprache, sondern inspirierte auch volkssprachliche Bibelübersetzungen in vielen anderen Ländern Europas. Luthers epochale Leistung ist für den Freistaat Thüringen Grund, 2022 ein Jubiläumsjahr unter dem Titel „Welt übersetzen“ zu begehen und neben der Macht der Sprache auch Übertragungen in Musik, Literatur und Kunst in den Blick zu nehmen. Die Feier von 500 Jahren Lutherbibel ist jedoch mehr als ein touristisches Ereignis oder ein regionales Jubiläum – sie ist auch eine Erinnerung an den Beginn des Johannes-Evangeliums: „Im Anfang war das Wort“ (Joh 1,1). Seien Sie deshalb herzlich eingeladen, im kommenden Jahr die Kraft des Wortes neu zu „schmecken“ und die „Masse an Himmel“ selbst zu erleben!

Der Autor ist wissenschaftlicher Leiter und Kurator der Stiftung Lutherhaus Eisenach.

Weltereignis: Vor 500 Jahren begann Martin Luther mit der Bibelübersetzung auf der Wartburg bei Eisenach. | Foto: Paul-Philipp Braun
Lutherstube auf der Wartburg bei Eisenach: Hier soll der Reformator Martin Luther ab dem 18. Dezember 1521 in elf Wochen das "Neue Testament" übersetzt haben.  | Foto: Maik Schuck
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