Eine theologische Würdigung scheitert an den bisher nicht erschlossenen Quellen zur kirchlichen Ortsgeschichte
Wie das »rote Mansfeld« zu seinem Namen kam

Das Mansfelder Land wurde in DDR-Zeiten gern doppeldeutig als das »rote Mansfeld« bezeichnet. Ein Beispiel für das Versagen der Kirche?
Von 
Matthias Paul

Gern verwendete Erklärungsmuster wie Entfremdung, Säkularisierung, soziale Frage oder Atheismus müssten mit Daten und Fakten unterlegt werden, das heißt, eben auch überprüft werden. Und eine historische oder theologische Würdigung jener »Entfremdung« im Mansfelder Land leidet schlicht an dem nahezu vollständigen Fehlen von kirchengeschichtlicher und allgemeinhistorischer Quellenarbeit zum
19. Jahrhundert.
Das dürfte im Hinblick auf das Mansfelder Land eben auch historische Ursachen haben. Die nach 1945 ins Amt gekommenen Pfarrer vor Ort betrieben kaum historische Arbeit, schrieben nicht einmal mehr eine Chronik, so wie es ihre Vorgänger zumeist akribisch taten. Und wenn es denn stimmt, dann wurde man von den Amtsbrüdern bedauert, wenn man zu DDR-Zeiten hierher kam beziehungsweise versetzt wurde. Jedenfalls wüsste ich bis auf eine Ausnahme keinen, der dieses Thema anhand von Quellen intensiv bearbeitet hätte. Er hieß Wilhelm Hartmann und war über viele Jahrzehnte Pfarrer in Burgörner bei Hettstedt. Doch es blieb insgesamt bei Ansätzen. Im Konsistorium in Magdeburg interessierte es anscheinend wenig. Kirchengeschichte war ja eine Hilfsdisziplin der Theologie laut Karl Barth.
Heute gehen Mansfelds Städte mittelfristig auf eine Kirchenmitgliedschaft von fünf Prozent zu. In manchen Dörfern liegt sie zuweilen noch bei über 15 Prozent. Dass also Untersuchungen für das Mansfelder Land überaus sinnvoll wären, ist gewiss offenkundig. Inwiefern aber die EKM eben dieser Arbeit eine Erschließungskraft für die Diagnose gegenwärtiger gesellschaftlicher Zustände und Prozesse zutraut, gebe ich gern als Frage weiter.
Was könnte vor Ort geschehen? Quellenarbeit. Kirchenbücher (auch die katholischen) und Kommunikantenregister sind zumeist vorhanden. Sie geben Auskunft über die Bevölkerung, mindestens verlässlich bis zum Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts. Wie wirkte sich etwa die Aufhebung der Privatbeichte um 1785 aus?
Es gab »leere« Kirchenbänke und freireligiöse Impulse im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Es gab um 1860 noch einen staatlichen Zwang zum Besuch der Betstunden vor der Schicht der Bergleute.
Gab es Pfarrer, denen die Lage der Bergleute und Industriearbeiter wichtig war oder konzentrierten sie sich in ihrer Arbeit auf Bauern, Handwerker und Kleinbürger? Es gibt Hinweise auf konkrete Konflikte zwischen Pfarrern und Lehrern vor und nach dem Ersten Weltkrieg über die Themen: Trennung von Staat und Kirche, soziale Not, Bedeutung der Reformation und des Protestantismus für die moderne Gesellschaft. Es gibt Hinweise auf christliche Arbeitervereine und evangelische Gewerkschaftsarbeit und das Entstehen von evangelischen Frauenvereinen. Es gibt Hinweise auf erhebliche Migra­tionsschübe im betreffenden Zeitraum, die bereits weit vor dem Ersten Weltkrieg einsetzten. Sie stellten die damals betroffenen Orte und Kirchengemeinden vor viele, eben auch vor konfes­sionelle Herausforderungen.
Dies wären erste Fragehorizonte, die vor Ort angegangen werden könnten. Wichtig wäre die Gewinnung von Pfarrern für historische Arbeit in ihren Gemeinden. Bei aller Liebe für die Heimatforscher und Ortschronisten. Sie können dies in der Regel nicht leisten. Ebenso wichtig wäre natürlich auch die Gewinnung von Historikern und Vertretern der Religionssoziologie – um die Aufgabe auch methodisch und kritisch bewältigen zu können.
Übrigens heißt das Mansfelder Land »rotes Mansfelder Land«, weil hier der Ackerboden rot ist.

Der Autor ist promovierter Theologe und Pfarrer in Mansfeld.

Autor:

Online-Redaktion

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