Heilige Anarchie
Vom Stimmungstief am Ostersonntag

Foto: Foto: epd-bild/Jens Schulze

"Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden", heißt es am Ostermorgen. Doch wird das Osterfest oft nicht ganz so erlöst gefeiert, wie es eigentlich sein sollte.

Von Christian Buro

Wir werden zum zweiten Mal erleben, wie die Pandemie den gewohnten Ablauf des Osterfestes durchkreuzt. Im Ausnahmezustand des letzten Jahres gewann das Fest unerwartete öffentliche Aufmerksamkeit. »Nach Ostern«, das war die ersehnte Wende, kommt die Rückkehr zum normalen Leben. Und so bekam es fast symbolische Bedeutung.
Die Aufwallung des Interesses passte allerdings nicht wirklich zum bestehenden Relevanz- und Resonanzverlust des Osterfestes. Ostern wird zwar als das höchste Fest angesehen. Gläubig und ungläubig bestaunen viele den Tod des Jesus von Nazareth und die erzählte Auferstehung des Gottessohnes. Aber daran teilnehmen wollen dann doch nur wenige.

Das Verbot öffentlicher Gottesdienste löste eine paradoxe Intervention aus. Die Kreativität und die Lust vieler Akteure waren wie befreit. Man wollte das Osterfest unter die Leute bringen. Es war die Geburtsstunde eines bisher unbekannten Enthusiasmus.
In der Passionszeit rüstete man sich innerlich und technisch für die Festwoche. Man brachte Ostern an den Küchentisch, das Abendmahl an den Bildschirm, die Bläser auf den Parkplatz. Nichts davon hat Ostern neu erfunden. Aber in den gelungenen Momenten waren Menschen davon berührt, dass dieses Fest ihnen nahekommt. Was davon bleiben wird, und ob da alles Gold ist, was glänzt, steht auf einem anderen Blatt. Das wilde Ausprobieren und Losrennen wurde als ein Zustand »heiliger Anarchie« bezeichnet. Das trifft einen zentralen Punkt. Die üblichen Bedenken, Ordnungen und alle möglichen Grenzziehungen waren hinfällig. Man machte, was Spaß macht. Mir – und den anderen.
Vielleicht bleibt davon nur, dass sich die Stimmung verschoben hat. Das wäre für ein Fest gar nicht wenig. Denn Feste sollen nicht nur stattfinden, sondern im emphatischen Sinn gefeiert werden. Zu jedem Fest gehört auch so etwas wie eine gefühlsmäßige Signatur. Welche Gefühle und Gestimmtheiten sind üblich? Welche werden hervorgerufen? Komme ich fröhlich, traurig, beschwingt, erheitert oder sonst wie raus? Passt die Stimmung zu mir, zum Tag, zum Rest meines Lebens?

Eine andere Gestimmtheit, irgendwie ein anderes Feiern, das wünschen sich manche für dieses Fest. Für Ostern bildet in der lutherischen Tradition immer noch der Karfreitag die gefühlsmäßig einstimmende Eingangspforte. Die theologische Grundierung ist bei Leitenden wie Beteiligten verblasst. Wie offene Kabelenden hängt die Bewegung vom Niederdrückenden zum Erlösenden in der Luft. Mit Abschied, mit Bedenken des Abgründigen und mit dem Affekt der Trauer kennen wir uns aus. Das nimmt auch Raum ein.
Während am Karfreitag die gedrückte Stimmung aus dem Ruder läuft, bleibt der Überschwang in Richtung der Freude am Ostersonntag dahinter weit zurück. Die Tristesse am Ostersonntag wird vielfach als bedrückend wahrgenommen. Unangenehm peinlich gerät die Stimmung, wenn weniger Gäste dieser frohen Einladung folgen, als ihnen vorne Mitgestaltende gegenüberstehen. Wenn sich die Feier der Erlösung in fortgesetztes Leiden verwandelt, stimmt mit dem Fest etwas nicht. Wo doch eine größere Zahl an Menschen zusammenkommt, weicht das Feiern oft ungelenk von dem ab, was man sich außerhalb der Kirchenmauern darunter vorstellt. Man quetscht sich dazu eher selten hintereinander in Bänke.

Kein Wunder, dass viele die weintrunkene Runde am gedeckten Tisch dem verkündeten Fest in der Kirche vorziehen. Kein Wunder auch, dass sich die inhaltliche Dimension des Festes den meisten gar nicht adäquat erschließen kann. Bereits vom Temperament unseres Feierns sind sie irritiert.
Und sie schließen von der Stimmung auf die Botschaft. Unsere Gottesdienste und Begängnisse sind auf getragene Festlichkeit und Ernst im Angesicht der Zumutungen unserer Existenz gepolt. Dadurch vermögen sie diesen Themen Würde zu geben. Aber weite Bereiche ebenso existentieller Zustände bleiben außen vor, wenn die Gestimmtheit der Freude, der Ausgelassenheit und Leichtigkeit, ja der Ge- und Erlöstheit viel weniger glückt.

Schon länger haben Kreuzwege, Osternachtsfeiern, die Feier des liturgischen Triduums, lärmig-bunte Familiengottesdienste, Konzerte und Musiken die Stimmung des Osterfestes verändert (und manche theologische Einseitigkeit korrigiert). Die derzeitige »heilige Anarchie« fügt dem ein überraschend neues Kapitel hinzu. Anders als für die pandemische Lage bleibt es zu hoffen, dass jene so schnell nicht verschwindet.

Der Autor ist Pfarrer in Seehausen (Kirchenkreis Stendal).

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Online-Redaktion

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