Abbruch des Freiwilligendienstes
"Wir waren alle noch in unserem Tansaniamodus"

Frauke Mehnert (r.) | Foto: privat
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Kulturschock: Ganz plötzlich bekamen die Freiwilligen des Leipziger Missionswerks die Anweisung ihre Einsatzländer wegen der Corona-Pandemie zu verlassen und nach Deutschland zurückzukehren. Ein Erfahrungsbericht.

Von Frauke Mehnert

Und so standen wir beide da. Den Blick in die Sterne gerichtet, die so glänzend den tiefdunkelblauen Himmel bedeckten. Der Mond umhüllte uns mit seinem warmen Schein, schenke uns Licht im Dunklen. Und während wir, mit dem Blick auf die Berge gerichtet, dastanden, schwelgten wir in Erinnerungen. Lagen uns in den Armen und trockneten unsere Tränen.

Bis vor einer Woche hatte ich kaum Berührungspunkte mit Corona. Nur mein Handy blinkte immer wieder auf, informierte mich über Neuigkeiten aus Europa und Asien. Aber es war so weit weg, außerdem war Tansania nun mein Zuhause und füllte mich täglich ganz und gar aus. Ich wollte nicht zurück, mir graute jeder Gedanke, dass ich in sechs Monaten wieder in Deutschland sein werde. All die Menschen, Groß und Klein, waren fest in meinem Herzen und gaben mir das Gefühl an dem Ort zu sein, wo ich hingehöre.
Plötzlich kam ein Anruf – ich muss jetzt das Land verlassen. Das Bundesministerium hatte in der vergangenen Woche festgelegt, dass wir, aufgrund der sich stetig verschärfenden Situation um die weltweite Ausbreitung des Corona Virus, innerhalb weniger Tage zurückkehren müssen.

Nun stand ich da, in Tränen und vollkommen aufgelöst. Vor zwei Wochen erst hatten wir im Zwischenseminar aufgeschrieben, was wir noch alles vorhaben. Gerade erst hatte ich in meine neue Einsatzstelle gewechselt. Fühlte mich dort vom ersten Tag an so wohl und aufgenommen, dass mir keiner glaubte, ich würde dort erst seit zweieinhalb Wochen wohnen. Plötzlich lösten sich all die Pläne auf, stiegen wie Luftballons in den Himmel und verschwanden hinter den Wolken. Körbe flechten lernen, Brot backen, nach Matema wandern, die gebastelten Schmetterlinge im Kindergarten aufhängen, Blumen vor dem Haus pflanzen, anderen Freiwillige im Norden besuchen, ein Kleid nähen, mit den Kindern Steine bemalen, Freunde zum Kartoffelpuffer kochen einladen… All das waren nur ein paar Aktivitäten, die ich gerne noch machen wollte. Vor allem aber wollte ich die restliche Zeit genießen, jeden Moment festhalten und im Gedächtnis fest abspeichern.

Zum Zeitpunkt des Anrufes befand ich mich in Daressalam, der größten Stadt des Landes ganz im Osten. Tandala, mein neues Zuhause, lag jedoch tief im Süden und unser Rückflug sollte schon in wenigen Tagen stattfinden. Über 30 Stunden brauchte ich, um die große Entfernung zu überwinden. Etwas mehr als sechs Stunden blieben mir nun um all meine Sachen - mein Leben der letzten sechs Monate in meinen 60 Liter Rucksack zu stopfen, bevor ich wieder nach Daressalam zurückreisen musste, wo unser Flieger starten sollte. Bei jedem Gegenstand, bei jedem Bild welches ich von der Wand abhängte, schwelgte ich in Erinnerungen…
Das Packen wurde zu einer emotionalen Achterbahn. Immer wieder setzen wir uns an unseren Küchentisch und weinten, im nächsten Moment lachten wir über so manche lustige Erlebnisse. Doch innerlich sträubte sich alles gegen eine Rückkehr, obwohl wir im Laufe der Zeit den Ernst der Lage verstanden.

Ende Februar wechselte ich meine Einsatzstelle, hatte auf 2000 Meter Höhe in den Bergen mein neues Zuhause gefunden. Lebte mit der lieben Tabea, einer Freiwilligen vom LMW, zusammen. Gemeinsam mit unserem Kater teilten wir uns ein kleines Häuschen auf dem Gelände der Diakoniestation, inmitten einer atemberaubenden Bergkulisse.

Vom ersten Tag an wurde ich in der Diakonie mit offenen Armen aufgenommen. Die Menschen brachten mir wahnsinnig viel Liebe und Geborgenheit entgegen. So kam die Nachbarin spontan auf einen Tee vorbei und man erzählte sich vom Tag oder machte Witze über das Huhn, welches sich wieder einmal verlaufen hatte. Oft hatten wir Besuch von Menschen aus dem Ort, die zu unseren Freunden geworden waren. Lernten von ihnen typische tansanische Gerichte kochen, während wir ihnen die Schmackhaftigkeit von Schokoladenpudding näher brachten. Gleichzeitig nahmen sie uns mit zu sich nach Hause und überwältigten uns immer wieder mit ihrer grenzenlosen Gastfreundlichkeit. Sie erzählten uns was sie bewegt, man quatsche so über die „News“ aus aller Welt oder was man den Tag über so gearbeitet hat.

Erinnerungen

Kurz vor Weihnachten waren Tabea und ich zu einer Taufe eingeladen, bzw. zum „kupika“ (kochen) für die Taufgesellschaft. So gingen wir am Morgen mit unserem Einkaufszettel auf den Markt, um fehlendes Gemüse und Fleisch zu besorgen. Gemeinsam mit den Frauen fingen wir dann an zu kochen. Auf dem Bild seht ihr Lucie, die in der Diakonie in Tandala ihre Ausbildung zu Schneiderin gemacht hat. Wir beide waren dafür verantwortlich, das Gemüse zu schneiden.

Insgesamt waren wir neun Frauen, sowie Zamo, der das Fleisch zubereitete. Die verschiedensten Gerichte wurden gekocht. Nach dem Taufgottesdienst in der Kirche kamen dann die Gäste zum Haus der Eltern des Täuflings. Gemeinsam wurde gegessen und anschließend getanzt. Selbst die Ältesten ließen es sich nehmen, mit den Kindern zu tanzen. So war es ein reges Treiben, in dessen Mitte der Täufling tief in den Armen der Mutter schlief.

Gemeinsam zu kochen, zu quatschen, zu tanzen – einfach die Gemeinschaft genießen. All das verbinde ich mit diesem Bild. Denn die Menschen haben uns in ihre Gemeinschaft mit aufgenommen und Tansania bzw. Tandala zu unserem Zuhause werden lassen.
Zu meinem Zuhause wurde auch der Kindergarten in Tandala. Hier verbrachten etwa drei bis sechs Kinder ihren Tag. Nach der Morgenandacht in der Diakonie machte ich mich auf den Weg und schon von Weiten hörte ich die hohen Stimmen der Kinder, vermischt mit dem gezwitschert der Vögel. Betrat ich durch das große Holztor das Gelände des Kindergartens, dann dauert es nicht lange und die ersten Kinder streckten ihre Köpfe durch die Tür.

Foto: Frauke Mehnert

Baraka, zweieinhalb Jahre alt, kam jeden Morgen freudig angerannt. Seine gute Laune und sein Strahlen steckte an, wie ihr es auf dem Bild sehen könnt. Außerdem liebt er es mit Joseph Fußball zu spielen. Dieser, drei Jahre alt, baute gerne mit Legosteinen einen großen Turm, der dann irgendwann mit großem Krach auf den Boden fiel.

Kaum hatte ich den Kindergarten betreten, so erzählte mir schon Molly, drei Jahre alt, was sie heute zum Frühstück gegessen hat, wie es ihrer Mama geht und ob mir schon ihr neues Kleid aufgefallen sei.
Lustina, auch drei Jahre alt, malte gerne bunte Bäume oder Straßen, liebte vor allem das gelbe Auto von Lego-Duplo. Tumaini, drei Jahre alt, mochte es genauso zu malen und fand vor allem an meinen Suaheli-Karteikärtchen großen Gefallen, die sie liebevoll als „kleine Büchern“ bezeichnete. Auf dem Bild könnt ihr die Beiden sehen, links Lustina und daneben Tumaini.

Dann war da noch Eric, mit vier Jahren der Größte. Am liebsten wippte er, freute sich wenn die Mädchen auf der anderen Seite der Wippe in der Luft schwebten. An meinem ersten Tag zeigte er mir voller Stolz das große Baumhaus.
Die Kleinste in der aufgeweckten Runde war Vanessa. Da ihre Großmutter im Krankenhaus lag, musste ihre Mutter diese versorgen und so war das anderthalb Jahre alte Mädchen vorrübergehend mit im Kindergarten. Anfänglich war sie mir gegenüber sehr schüchtern, weinte wenn sie mich sah oder versteckte sich. Doch an meinen letzten Tagen im Kindergarten war das Eis gebrochen und sie machte es sich auf meinem Stoß gemütlich oder umfasste meinen kleinen Finger mit ihrer zarten Hand und führt mich in den Garten.

Wenn ich an all die Momente denke, werde ich sehr wehmütig und traurig. Die Zeit zwischen Anruf und dem Abflug fühlte sich wie eine Flucht an. Durch die abrupte Abreise konnte ich mich nicht mal mehr von den Kindern verabschieden. Konnte all den Menschen nicht mehr „Danke“ für die Zeit sagen, konnte keinen mehr zum Abschied umarmen und „Auf Wiedersehen“ sagen.
Plötzlich fährt man in der Nacht mit allem Gepäck los. Innerhalb von vierzehn Stunden ist man quer über die Welt geflogen und ladet in einem Land, welches gerade im Ausnahmezustand ist. Landet in einer anderen Kultur, in einem Land wo man Klospülungen beleuchtet. Deutschland kommt mir so steril und kühl vor. Die Orte sind dicht bebaut, zugepflastert oder betoniert.

In Daressalam noch unterhielt ich mich mit der Zollbeamtin. Sie erzählte mir wo sie herkommen würde, ich erzählte ihr von meiner Zeit in Tansania und so führten wir ein kleines nettes Gespräch, während sie meinen Reisepass auf Korrektheit kontrollierte und ich meine Fingerabdrücke abgab. In Berlin dagegen wurden wir als Erstes von einem Beamten sehr deutlich darauf hingewiesen, schneller zu gehen und auch die Zollschleuse war vollautomatisch - ohne ein nettes Gespräch.
Immer wieder passiert es, dass ich versehentlich Leute (mit zwei Meter Sicherheitsabstand) auf Suaheli anspreche. Selbst im Flugzeug nach Berlin bestellten wir bei der Stewardess ganz selbstverständlich unser Essen „bila nyama“ (ohne Fleisch). Sie schaute uns daraufhin mit großen Augen an und das „Pole sana. Husemi Kiswahili?“ (Oh Entschuldigung, sie sprechen kein Suaheli?), machte es nicht besser. Tatsächlich konnte sie deutsch sprechen, wir waren jedoch alle noch in unserem „Tansaniamodus“. Der vegetarische Nudelauflauf war trotzdem hervorragend…

Im Nachhinein gesehen kann ich die Rückholaktion nachvollziehen, zumal unser Flieger der letzte von Türkish Airlines nach Deutschland war. Trotzdem fühle ich mich in Deutschland noch sehr unwohl und fremd, denn mein Herz hängt noch in Tansania. Viele Dinge sind für mich ungewohnt und missverständlich. Selbstverständliche Dinge waren am Anfang für mich wieder neu, sei es nur das warme Wasser aus der Leitung. Und all die Menschen, die einen verstehen unterliegen genauso der Ausgangssperre…

Frauke Mehnert (r.) | Foto: privat
Foto: Frauke Mehnert
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