Bräuche im Advent
Enthnologin: Rezeptionsgeschichte kritisch hinterfragen

Das Anbringen von Mistelzweigen an der Haustür ist ein beliebter Adventsbrauch. Ein Kuss unter dem Mistelzweig soll Glück und Liebe ins neue Jahr bringen. Die Pflanze wird so zu dem weihnachtlichen Symbol für Hoffnung. | Foto: pixabay.com/Peggychoucair
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  • Das Anbringen von Mistelzweigen an der Haustür ist ein beliebter Adventsbrauch. Ein Kuss unter dem Mistelzweig soll Glück und Liebe ins neue Jahr bringen. Die Pflanze wird so zu dem weihnachtlichen Symbol für Hoffnung.
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Bräuche markieren Übergänge: zwischen den Jahreszeiten, im Kirchenjahr, im Lebenslauf oder im sozialen Miteinander.  "So geben sie im Wandel der Zeiten Orientierung“, sagt Juliane Stückrad. Wie Bräuche lebendig bleiben, erklärt die Ethnologin von der Volkskundlichen Beratungs- und Dokumentationsstelle für Thüringen im Interview mit Beatrix Heinrichs. 

Warum sind Bräuche für uns wichtig, gerade in der Adventszeit?
Juliane Stückrad: Wenn wir fragen, warum Bräuche wichtig sind, fragen wir eigentlich nach der Funktion von Bräuchen. Die Brauchforschung hat dazu verschiedene Theorien entwickelt. Bräuche finden in einem bestimmten zeitlichen Rhythmus nach festgelegten Regeln ab. Sie können soziale Normen bestätigen, aber auch – in einer festgelegten Zeit – in Frage stellen, wie zum Beispiel im Fasching. Bräuche markieren und inszenieren Übergänge, wie zwischen den Jahreszeiten, im Kirchenjahr, im Lebenslauf oder im sozialen Miteinander.

Dadurch geben sie im Wandel der Zeiten Orientierung. Sie vermitteln Sicherheit in Umbruchsphasen und helfen bei Abschied und Neuanfang. Gerade die Adventszeit zum Beginn des Kirchenjahres und Ende des kalendarischen Jahres mit seinen langen Nächten kennzeichnet eine solche Übergangsphase und ist daher besonders reich an Bräuchen. Die vielen Heiligentage in jenen Wochen gaben in früheren Zeiten zusätzlich Anlass zu Orakeln und Wettervorhersagen für das kommende Jahr.

Dr. Juliane Stückrad, Ethnologin bei der Volkskundlichen Beratungs- und Dokumentationsstelle für Thüringen | Foto: epd-bild/Heike Lyding
  • Dr. Juliane Stückrad, Ethnologin bei der Volkskundlichen Beratungs- und Dokumentationsstelle für Thüringen
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Manche Bräuche werden schon seit langer Zeit von Generation zu Generation weitergegeben. Wie erklären Sie das und was muss dafür gegeben sein?
Da Bräuche eine Form der Kommunikation über Traditionen und Werte darstellen, bleiben sie dort lebendig, wo die Generationen miteinander im Gespräch bleiben. Die Alten geben ihre Erinnerungen und ihr Wissen an die Jungen weiter, die dann ihre eigenen Vorstellungen und Erfahrungen einbringen. Wenn Bräuche in dieser Form anpassungsfähig sind, bleiben sie erhalten.

"Es gibt Brauchelemente, die durch koloniale Narrative, rassistische und sexistische Einstellungen sowie nationalsozialistische Ideologie geprägt worden sind. Diese sollte man nicht unhinterfragt fortführen."

Viele alte Bräuche werden gerne gepflegt - zunehmend aber ohne, dass die Verbindung zum Ursprung des Brauches noch bekannt ist. Ist das aus Ihrer Sicht eine bedenkliche Entwicklung?
Da Bräuche an die Lebenswelt der Menschen gebunden sind, ändern sich auch ihre Bedeutungen, wenn sich die Lebensweise ändert. Damit geht auch das Wissen verloren, welche Funktion sie einst erfüllten. Das ist der normale Lauf der Dinge. Allerdings sollten sich Trägergruppen von Bräuchen mit deren Herkunft und Wandel beschäftigen. Nicht alles, was „uralt“ und ehrwürdig wirkt, ist es auch.

Es gibt Brauchelemente, die durch koloniale Narrative, rassistische und sexistische Einstellungen sowie nationalsozialistische Ideologie geprägt worden sind. Diese sollte man nicht unhinterfragt fortführen. Dazu gehört auch die kritische Reflexion der Rezeptionsgeschichte. Viele Bräuche wurden seit dem 19. Jahrhundert zu Relikten heidnisch-germanischer Traditionen umgedeutete. Was sie aber nicht sind.

Im Advent werden Bräuche mit christlichem Ursprung gepflegt. Nun gehören immer weniger Menschen einer Kirche an. Wie beeinflusst das die „Lesart“ des Brauchs und seine Bedeutung?
Auch wenn man keiner Kirche angehört, bedeutet das ja nicht, dass man an nichts glaubt. Wir können davon ausgehen, dass auch kirchenferne Menschen zu den wichtigen Festen wie Ostern und Weihnachten das Leben, die Hoffnung und die Liebe feiern.

Da Bräuche neben der Einbettung in den liturgischen Kalender und den christlichen Jahreslauf auch im Alltag der Menschen verankert sind, ist ihre Symbolik schon immer mehrdeutig gewesen und kann individuellen Bedürfnissen angepasst werden. Man muss bei der Pflege von Bräuchen auch nicht jedes Symbol verstehen. Gerade die Freude am Geheimnisvollen und die Lust an der kreativen Aneignung können ausgesprochen motivierend wirken.

Das Anbringen von Mistelzweigen an der Haustür ist ein beliebter Adventsbrauch. Ein Kuss unter dem Mistelzweig soll Glück und Liebe ins neue Jahr bringen. Die Pflanze wird so zu dem weihnachtlichen Symbol für Hoffnung. | Foto: pixabay.com/Peggychoucair
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Autor:

Beatrix Heinrichs

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